Die Weltpremiere des Stückes aka Uraufführung wird am 18.05.2025 stattfinden und am 24.05.2025 von NDR Kultur übertragen (um 20:30Uhr).
Erstmal ein Chapeau an die Künstler*innen und Techniker*innen und insbesondere an das Orchester, – warum werdet ihr hören, wenn ihr es denn hören werdet.
Wie immer der Disclaimer: Ich bin Kulturwissenschftalerin und neurodivergent, dieser Beitrag ist meine persönliche Position und sollte stets als Einladung angesehen werden, neugierig zu werden und im besten Falle sich selbst eine eigene Meinung zu bilden.
…also, es ist viel, buckle up, viele Eindrücke, viele Meinungen aus dem Zuschauer*innenraum, und auch noch sehr frisch, bin ich just aus der Oper gefallen, ins Auto und direkt an den Schreibtisch, mit einem kurzen Zwischenhalt zum Abschminken. Denn ich sah gut aus, und als ich da saß, dachte ich öfter WTF, ich hätte auch im Jogginganzug auftauchen können, es hätte besser gepasst.
Auch wieder “mixed emotions” und das ist stets das gewünschte Ergebnis!
Das Sujet ist bestenfalls langweilig – “răsuflat” wie man auf Rumänisch sagt: Die Kohlensäure ist raus. Ein Wissenschaftler, anerkanntes Genie, enfant terrible bzw. pain in the ass seiner Zunft und Instituskollegen (gendern nicht nötig), ergo der Inbegriff einer C-Professur und der Reviewers 1 UND 2, die dein Paper zum x-ten Mal nicht durchgehen lassen, nix minor corrections, sondern kompletter Verriß. IYKYK. Die Anspielungen an Academia sind zutreffend, aber sehr stark überzeichnet. Das Genie ist selbstverständlich sehr einsam und bar sozialer Kontakte, zum einen weil er ein Arschloch ist (pardon my french), zum anderen weil er “alles kaputt macht”, ob Experimente oder zwischenmenschliche Beziehungen. Das wahrscheinlich autistische Genie, ein Sujet so ausgelutscht wie eine monatelang verwendete Zahnbürste. Dieser begibt sich in die Hände eines zynischen Gurus, genannt Astaroth, ein gar unsubtiler Hinweis auf die dämonische Herkunft. Spoilern kann ich gar nicht, weil ich vor dem Ende leider gehen musste. Das geschah dann nach ein paar textlich betrachtet phallusgeladenen Szenen, die mich angenervt haben, sodaß es mir nicht schwer fiel. Ich musste leider auch! Gehen, meine ich.
Das versprochene Fauststoff des 20. und 21. Jahrhunderts, so das Leporello zum Stück, ist meiner Meinung nach nicht gut in die heutige Zeit transponiert/transzendiert, alles nicht der richtige Ausdruck, aber es fällt mir zur späten Stunde kein besserer Begriff ein. Wirklich aktuell sind jetzt andere Dinge, überhaupt, wann eine Oper von/über/mit/zu Weizenbaum?
Ich denke nach dem zweiten Weltkrieg in den 60-er Jahren, also auch nach dem Korea-Krieg, wäre das inhaltlich ein modernes Stück gewesen, aber man muss eben auch gestehen, dass es Zeit braucht, um gesellschaftskritische Themen in eine Oper einfließen zu lassen. Das gelingt anderen Kunstformen natürlich einfacher und schneller. Und modern ist das Stück: Die Musik ist… ähm… interessant, wie eine Dame sagte. Es gab verschiedene Meinungen zur Musik: Aggressiv, verstörend, ich persönlich fand sie langweilig und zeitweilig einschläfernd. Mein ADHS Gehirn hat also paradox reagiert und die Musik als beruhigend empfunden, während andere davon aufgewühlt wurden! Genial fand ich den Einsatz zahlreicher Instrumente, es gab eine Celesta, ein Akkordeon, verschiedene Schlagzeuge bis hin zur Trillerpfeife, wenn ich das richtig gehört habe.
Kommen wir zum Libretto, das diesen Namen nicht verdient. Positiv anzumerken: Der Text ist sehr gut verständlich. …vor allem wenn die Hauptrolle nochmal seinen Part lernte, es gab ständig Aussetzer EDIT: Der Bariton, der die Hauptrolle inne hat, ist trotz des deutsch anmutenden Namens amerikanischer Herkunft, daher sehen wir ihm das natürlich nach! – jedoch hat der Text das Sprachniveau eines Witzbuches für die Grundschule. Die erste Stunde besteht aus schwer zu ertragenden Plattitüden, eine unerträgliche Flachwitz-Sammlung oder sagen wir mal Bonmots; und meine drängendste Frage ist da “Warum”?? Warum hat man dieses sonst recht interessante Stück mit diesen uneträglichen Texten gepaart? Soll das so? Dass der Text besser zu singen sei kann kein Argument sein, denn es wird wenig gesungen. Die Komponistin Unsuk Chin spricht hervorragend Deutsch, das kann also nicht daran liegen; die Mitarbeit erfolgte von seiten Dr. Kerstin Schüssler-Bach, einer Musikwissenschaft, Germanistik und Geschichte-studierten Dame mit reichlich Erfahrung und Netzwerk. Also, es muss einen logischen Grund haben, den ich nicht weiß, ansonsten ist es einfach nur peinlich, und das möchte ich in Zusammenhang mit zwei solchen erfahrenen Damen nicht denken.
Das Bühnenbild setzt so einiges an interessanten Perspektiven ein, die allerdings, und das war nicht nur mein Eindruck, etwas overwhelming sein können: Man weiß nicht, wo man hinschauen soll. Es gibt natürlich die übliche Video-Installation, aber diesmal live von der Bühne; die Hauptfigur wird dabei gefilmt wie sie die Oper versucht zu verlassen und an der Garderobe abgefangen wird, das war spannend und überraschend. Weil ich mich so langweilte, zählte ich häufiger die Personenanzahl auf der Bühne durch, und es waren stets Primzahlen. Das wiederum fand ich cool, sollte es beabsichtigt worden sein.
Ich frage mich abschließend warum eine weibliche Komponistin ein männliches Genie thematisiert, was die weibliche Hauptrolle einer Narkomanin (schwach besetzt, wie man mir zuraunte) zu bedeuten hatte, denn für die paar Minuten hätte man sie auch streichen können, warum das Ganze so wenig modern war, obwohl es exakt das krampfhaft versucht hat, und wer die Zielgruppe für dieses Stück sein soll. Quantenteilchen sind gleichzeitig in verschiedenen Zuständen, da findet sich das Stück dann auf alle Fälle wieder, es ist nicht die Dichotomie einer Oper mit Musik und Gesang, sondern es ist alles gleichzeitig, Konzert, Oper, Theater, Installation und Performance, und für manche Zuschauer*innen dann vielleicht auch… nichts.
Heute fragte ich mich auch ob manche Leute, wenn sie etwas nicht mögen, eher davon ausgehen, dass es über ihren (intelektuellen) Horizont ist, und dann dem Ganzen lieber Zuspruch zollen. Der Blick der Dame, als ich fragte wie ihr das Stück gefiele, und die Musik: Sie hatte kurz unsicher gezögert. Aber man kann und darf einfach etwas scheiße finden, egal wie “intelektuell” verbrämt das ist. Man kann auch die Mona Lisa hässlich finden, so what.
Ich habe jedenfalls viel Spaß an den verwirrten Gesichtern im Zuschauerraum gehabt, und bedauere es, das Stück nicht zu Ende gesehen haben zu können. Die Hamburger Oper darf mich gerne einladen, dann schreibe ich das zu Ende – ja, es ist ein langes Stück, ich würde es mir aber nochmal ansehen und anhören, gerne gemütlich angezogen.
Bilder gibt es natürlich nicht, das ist verboten! Komischerweise repostet die Oper ständig Sachen, die aus dem Zuschauerraum aufgenommen wurden. Wer offen für ein bisschen copyright infringement ist, kann dann in den Stories schauen. Ja, auch meine 😬🤐😵💫
Tadaa! Das war’s, ich bin gespannt weitere Meinungen und Eindrücke, vor allem von der Premiere, zu hören.