Meine Statistiken sind seit Jahren recht deutlich: Der Beitrag zu dem Spruch “Kuh oder Ziege” gehört zu den beliebtesten beziehungsweise am häufigsten aufgerufenen Beiträgen auf den Blog. Ja, es heißt der Blog, warum das so ist, schrieb ich in meinem Buch.
Hier ist der Beitrag zu finden https://www.mybeautyblog.de/kuh-oder-ziege-altern-ist-nichts-fuer-schwache-bindehaut/ – bitte die Kommentare lesen, sie sind schön und klug. Aber ich ordne den Beitrag neu ein, mit der dazugewonnenen Altersweisheit, die mir meine langjährige Therapeutin bescheinigte.
Immerhin bin ich satte acht Jahre älter und habe diese wundervolle Tochter, die mich regelmäßig daran erinnert, dass andere Frauen, bÜschi älter als ich, gerade mit ihren Enkelkindern an der Hand gehen, während ich meiner Tochter sagen muss, dass ich sie leider nicht mehr hoch heben kann, zu wenig Sport gemacht.
Kuh oder Ziege ist ein wahnsinnig ageistischer (Ageismus: Altersdiskriminierung) und misogyner (Misogynie: Sexismus explizit gegenüber Frauen) Spruch, und es ist überhaupt nicht erstaunlich, dass ich ihn zuerst aus dem Munde einer Frau hörte. Wer, wenn nicht Frauen, die patriarchale Logik ab Geburt injiziert bekommen, würden das sagen. Ohne Fragezeichen, es ist keine rhetorische Frage, sondern schlichtweg eine Feststellung und sind wir ehrlich, es hat sich nichts geändert. Im Gegenteil. Durch plastische Chirurgie als wesentlich massentauglicheres Produkt, spielt das Aussehen und der Alterungsprozeß gesellschaftlich eine immer größere Rolle hinsichtlich Distinktion und Klassenzugehörigkeit. Früher waren Tattoos und lange Plastiknägel Sexworkerinnen vorbehalten, genau wie der riesige Silikonbusen, heute ist es Mainstream.
Auf das Alter bezogen wird die Frage der Distinktion allerdings sehr interessant. Je nach Generation und auch wieder Einkommensklasse gehören einige Dinge dazu: Sehr schlank sein, sehr durchtrainiert sein, kleine kosmetische Eingriffe wie Botox und Filler, oder eben das komplette Programm inklusive Lifting. Immer wieder stechen dann ein paar selbsternannte Feministinnen wie ich heraus, die aus ihrem privilegierten Leben heraus schreien: Ich mache das alles nicht! Ich bin gut so wie ich bin! und das durchziehen. Hut ab, aber auch: Wirklich??*
Denn sind wir ehrlich, diese Frage mit Kuh oder Ziege war relativ einfach. Nun gesellt sich die dritte Option dazu, die den Rest der Frauen einfängt: Sei ein Zebra. Kräftig, muskulös, wild, auffällig. Gesund! Also – nicht hungern, sondern essen, aber nicht dick werden, sondern kräftig. Sport bis zum umkippen, Hormone, Gewichte, Protein.
Persönlich finde ich das gut und richtig, sich in Richtung Gesundheit zu bewegen (das nennt man übrigens Saneisumus und kann auch zwanghaft und pathologisch werden!), aber ich muss zugeben,selbst aus meiner ziemlich privilegierten Situation heraus (kein 9/5, Kinder nicht täglich) laufe ich sehenden Auges in eine Falle hinein, die genau so ist wie die Kuh oder Ziege Frage, nur bloß in einer anderen Färbung. Saneisumus eben.
Du musst, du sollst, du kannst ja. Ein Zebra ist keine Ziege, hat wenig Falten; ist keine Kuh, nicht allzuviel Volumen, dafür straff und stramm, und sie fällt auf in der Menge der monochrom gestalteten eben genannten Tiergattungen. Klingt gut!! Klingt doch richtig richtig gut!
Außer – so lange diese Einordnung stattfindet, findet sie statt als Beschäftigung mit sich selbst, was zu einem gewißen Grade gesund und notwendig ist, aber auch als Ablenkung:
Ablenkung von den Ungeheuerlichkeiten dieser Welt und des Alltags.
Das Kind, das mein Kind geschlagen hat, wo die Sportlehrerin nicht regiert hat. Ja, da müssen wir auf die Barrikaden – nicht wegen des Kindes, sondern wegen der Lehrerin.
Der Mann, der eine Frau auf der Straße belästigt und rassistisch beschimpft. Ja, da habe ich Prügel riskiert, und hatte Glück, dass ein Mann(!) eingriff.
Der Staat, der eine faschistische Agenda fährt, verbrämt unter dem Deckmantel von Konservativismus.
Zebra ist gut. Zebra ist gut, versteht mich nicht falsch, aber noch besser wäre ein Mittelding aus Selfcare, Kraft und tatsächlichem Bewusstsein der äußeren Umstände. Es ist wahnsinnig anstregend, neben dem Alltag mit Arbeit in jeglicher Form die furchtbare Lage der Welt auszuhalten und nicht auszublenden. Ich persönlich blende es mittlerweile limitiert ein, denn ich möchte nicht ignorant bleiben. Ich kümmere mich um mich, wenn ich mich auch mittlerweile in eine ganze andere Schublade als die obigen drei einordne. Ich lade ein, es mir gleich zu tun, zwinge aber niemand, und vor allem bestärke ich diejenigen, die sich für ihren Weg entscheiden, egal wie der auch ist, nicht ohne konstruktive Kritik vorzuenthalten. Aber das bin ja nur ich.
Also, um es nochmal zusammenzufassen – Altern ist so lange Würde, so lange man nicht altert; die Entscheidung welche Form das Altern einnimmt, spielt eine viel zu große Rolle in unserem Leben als Frauen.
Dabei schenkt uns das Altern Weisheit, und zwar nur den Frauen, aus einem ganz klaren Grund heraus: Wir können Wissen weiter tragen. Deswegen sind Frauen ab einem gewissen Alter gefährlich, werden bekämpft und unsichtbar gemacht. Das wiederum kann erhebliche Vorteile haben, denn man wird übersehen, und vergessen wir nicht, Meuchelmord ist immer eine Option, natürlich im übertragenen Sinne und eher als historisch-rhetorischen Witz gemeint.
Die Frage lautet also nicht Kuh, Ziege oder Zebra (wie schaffe ich es eigentlich immer diese Alliterationen hinein zu bringen?), sondern wem trete ich wann wie dolle in den Arsch.
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* Ich bin mir dessen gewahr, dass mit anderem Umfeld und Möglichkeiten aus mir sehr wahrscheinlich eine ekelhafte, operierte, snobistische und selbstgerechte Tussi geworden wäre.