Neustart oder: Erfinde Dich neu

Als ich mit elf mein Zuhause verließ, mit Sack und Pack würde man vielleicht schreiben, aber de facto mit vier Koffern und zwei Kisten für 4 Personen, war es keine Flucht. Es ist nicht vergleichbar mit dem, was sich heutzutage Flüchtlinge antun müssen, um nach Europa zu gelangen. Es war eine legale Ausreise, kurz vor dem Ende des Kalten Kriegs. Mit elf fühlte es sich an wie ein Abenteuer, es sollte ein Neubeginn werden, etwas Schwammiges und Leuchtendes, was in der Zukunft lag und von dem man keine Vorstellung hatte. Ich hatte schon begonnen, Deutsch zu lernen mit einem touristischen Reiseführer, und erinnere mich nur vage an den Abschied von Verwandschaft und Freundinnen. Die Zeit danach war hart, und ich erinnere mich an viele Dinge ungerne. Zuerst war die Angst, als wir im Zug zwischen Budapest und Wien kontrolliert wurden, – ich habe bis heute Angst vor der Polizei. Als zweites war das Licht, das ungeheure Licht, das ein Supermarkt, einfach so hatte. Mit Stromausfällen als Norm aufgewachsen, war ich so geblendet von diesem Licht, ich erinnere mich kaum an meinem ersten Supermarkt Besuch, wo ich das erste Mal in meinem Leben einen Einkaufswagen sah. Auch das ist bis heute geblieben: In meiner Bude muss es hell sein, immer, ich habe für Lampen und Glühbirnen ein Vermögen ausgegeben. Dunkel und gemütlich mag gelegentlich schön sein, die meiste Zeit brauche ich aber Licht und Helligkeit.
Die Zeit danach war… nicht schön. Kann man so subsummieren. Doch als Kind erlebt man diese Dinge anders und kann sie erst später einordnen und es war okay, irgendwie. Bis auf die Angst, Verzweiflung und Demütigung der Eltern, die sich auf einen wohl überträgt, war es wohl okay.

Und so gab es einen Neuanfang, und er war gut. Für mich, einzig für mich von uns vieren, wenn ich so zurück blicke. In der Schule lernte ich mühelos Deutsch, bekam allerdings auch Förderunterricht von einem geduldigen Grundschullehrer – in seiner Freizeit. Ich weiß seinen Namen nicht mehr, aber ich kann hervorragend Eichhörnchen und Schornsteinfeger aussprechen. Das Gymnasium war sehr kurz danach wieder ein Neuanfang, und auch das klappte gut, auch hier hatte ich Hilfe, und übersprang eine Klasse. Wieder ein Neuanfang, diesmal mitten in der Pubertät. Das Wunderkind war oh Wunder, gar keins und so faul wie nix, und so prügelte mich meine beste Freundin durch Chemie und irgendwie auch bis zum Abitur.

Ging es gut? Rhetorische Frage, irgendwie gewährte man (der Schulleiter!) mir das Abitur, für das ich zumindest in einem Fach gelernt hatte, und danach ging es relativ regulär weiter.

Dieses Prolog ist in Wirklichkeit sehr viel länger, er geht etwa 20 Jahre, in denen ich immer wieder neu anfing. Ausbildung, Beruf, Studium, Beruf, Ehe, Kinder. Die Namen der Frauen, die mich dabei unterstützen, habe ich alle parat.
Die Lehrerin, die Dozentinnen, die Chefin, die Anwältin, die Ärztinnen.
Immer wieder fing ich an und baute Dinge auf: Karriere, Familie, all’ diese Dinge, die am Ende des Tages auf dem Programm des Lebens so stehen – vermeintlich. Stehen können.

Dabei war es immer schwierig, mich selbst einzuordnen. Ich war überall dabei, probierte dies und jenes, das Leben als dies&das. Immer wieder wandelbar als Person, gab es eine Konstante: Ich passe hier nicht hin, aber ich habe es mal ausprobiert. Sehr spät habe ich gelernt, dass es Marginalisierung bedeutet, die man erfährt als Randgruppe, auch wenn man sich selbst NICHT als Randgruppe einschätzt. Ich bin eine Frau, eine Emigrantin, ich bin Ostblock, ich bin Ghetto, ich bin überdurchschnittlich gebildet und intelligent. Wäre ich noch schwarz, wäre ich am Arsch (oder sehr erfolgreich, wie meine Namensschwester).

Jeder Neuanfang brachte mir allerdings auch neue Skills, und so lernte ich vom Verkaufen bis hin zu Führung wirklich auf jeder Ebene Dinge, von denen ich heute zehre. Denn ich habe schon wieder neu angefangen, vermutlich an einer Stelle, an der ich schon mal gewesen bin. Und wie ist es denn so, in nicht mehr jungen Alter, wenn man eigentlich alles in trockenen Tüchern hat, wieder bei Null zu starten?
Na. Man startet nicht bei Null!


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Die Kultur des Guten

Habe neulich mal son eine richtige Influencer Routine gemacht: Reinigungsmaske, verschiedene chemische Peelings, verschiedene Seren und eine dicke, schmierige Pflegemaske. Natürlich müsste ich jetzt ein Bild zeigen, auf dem ich mit perfekter Frisur, Teint und Glow ein Produkt bewerbe. LOL.

Nun, nach über anderthalb Jahrzehnten Auseinandersetzung mit Beauty Produkten kann ich sagen, dass 95% der Produkte schlichtweg überflüssig sind. Ich kann eine gute Creme benutzen, Lichtschutzfaktor, und alles andere… ist Ernährung, Lebensstil und Vererbung.

Als ich überlegte in welche Richtung man überhaupt noch Beauty und einen Beautyblog entwickeln kann, und was ich eigentlich suche in dieser Auseinandersetzung mit dem Äußeren, fiel mir ein, dass ich als Kulturwissenschaftlerin das Gute (im Sinne der philosophischen Ästhetik) für eine scheinbar oberflächliche Nische suche. Die Nische ist eine Mischung aus Hedonismus und erschwinglichem Luxus, ein Trend, auf dem die Mode Branche beispielsweise verstärkt wieder setzt.

Und dann ist da der Widerspruch zwischen dem, was wir sehen wollen und gewohnt sind (Vogue, Instagram, alles glatt, geleckt) und dem was ist (ich, Du).

Das Gute findet sich meines Erachtens im Streben, im Prozeß und in einem ausbalancierten Maß, was erstmal total öde klingt, jedoch zur Folge hat, dass ich hier eine nachhaltige und nette Version der Vogue/Insta anbieten werde. So habe ich endlich den passenden Untertitel für meinen Blog gefunden:
Die Kultur des Guten.

Applaus einfügen.

#mybeautyblog

Würdest Du Dich liften lassen?

Angenommen, Du hättest einen wirklich guten Arzt und das passende Kleingeld dazu, würdest Du Dich liften lassen? lautete die Umfrage auf meinen Instagram Kanal.

Ich gebe wenig auf Statistiken, aber es haben sich knapp 60 Frauen und Männer gemeldet, deren Alter ich in etwa kenne und das Ergebnis war recht knapp, 46% waren dafür, und 54% waren dagegen. Es wird interessanter, wenn man sich die Textnachrichten dazu anschaut, also eine qualitative Studie daraus macht. Ich habe in der Regel sowohl Alter als auch Ort der Teilnehmer:innen, und auch den beruflichen und/oder finanziellen Hintergrund. Keine Angst vor Data Leaks, bitte! Mehr sage ich dazu nicht, stattdessen ein paar Zitate aus den Nachrichten:

“Dein Post trifft einfach den Nerv”.
“Wo fängt man an, und wo hört man auf?”
“Das ist mittlerweile Standard.”
“Frauen, die auf Frauen wg. ihrer Privilegien, Alter, Figur, Gesichter rumhacken sind ein Teil des misogynen, homogenen, frauenfeindlichen Masse.”

Reden wir über das entscheidende Kriterium: Geld. Klar, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, man kann das Geld immer locker machen – wir reden hier aber schon über einen fünfstelligen Betrag.
Wenn ich jedoch zehn Tausend Euro in einer guten Mischung anlege, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich in zehn Jahren mehr Geld habe ziemlich hoch. Lege ich die stattdessen in meinem Äußeren an, gewissermaßen auch ein Kapital, muss ich die Investition über den Heiratsmarkt/Partnerschaft wieder rausholen. Ich werde nicht müde, Jutta Allmendinger zu zitieren: “Der Heiratsmarkt bezahlt Frauen besser als der Arbeitsmarkt” (2017).

Dass wir uns selbst unter einem male gaze beurteilen, kommt obenauf.

Doch was ist hiermit: “Wenn es Dich glücklich macht und Du es für Dich tust, dann ist es okay.”

Jetzt wird es spannend. Pro, Contra, eigentlich geht es darum, die richtige Frage zu stellen. Wie immer. Weiterlesen…

Über Schönheit

Wenn Du eine Kiste mit all den verloren gegangenen Sachen bekommen würdest, wonach würdest Du als erstes suchen? Ich verliere sehr selten etwas, ich habe eigentlich noch nie Gegenstände verloren, aber dann musste ich innerlich grinsen, denn meine spontane Antwort war: Meine Schönheit.

Ja, da musste ich dann selbst laut lachen.

Zum einen war ich nie “schön” im klassischen Sinne, normschlank und hübsch, das ja. Es gibt einige Bilder von mir auf denen ich die perfekte Figur, perfektes Haar, das perfekte Outfit habe, aber ich habe mich damit nie beschäftigt. Es war für mich kein Maßstab. Der Blog zeigt, wenn man weit genug blättert, auch total gruselige Bilder von mir, die definitiv nicht von Eitelkeit zeugen. Mir ging es nie darum schön zu sein, sondern um den Prozess, etwas schöner zu gestalten. Oder zu verbessern, eine Obsession die zumindest meiner geplagten Haut zugute kam.

Der Euphemismus “Schönheit liegt im Auge des Betrachters” ist ja so nicht wahr. Wir empfinden etwas als ästhetisch ansprechend wenn es symmetrisch ist, bemerkenswert wenn die Symmetrie dann leicht gestört wird. Unsere Sehgewohnheiten sind kulturell geprägt. Und was ist mit der Selbstwahrnehmung? Die wird stark durch die Sozialisation geprägt, Kita, Elternhaus, Umgebung (Ghetto oder nicht). Was allerdings derzeit als gesichert gelten kann: Schönheit zahlt am Markt mehr als Intelligenz. Es wird nur davon übertroffen, dass frau(sic) Geld braucht, um im Zweifel ebendiese Schönheit herstellen zu lassen. Mit Geld ist alles verfügbar, und das mit vielen Short-Cuts (OP statt Sport/Diät).

Kleine Anekdote am Rande: Bei einer Maniküre erfuhr ich von der Dame, die gerade mal 19 war (ich hatte sie auf Anfang 30 geschätzt), dass sie auf eine Brustvergößerung spart. Die Lippen und die Nase hatte sie schon gemacht. Auf meinem erstaunten Einwand sagte sie, sie sei eben im “Milieu” unterwegs und da sei es schwer, weil es alle machen. Für sie somit eine Frage der Investition in ihrer Arbeitskraft, so wie andere eben zur Uni gehen für einen besseren Arbeitsplatz. Es folgte ein fachlicher Austausch, und trotz der anekdotischen Evidenz hallte in mir die Frage nach: Was wäre gewesen, wenn auch ich woanders aufgewachsen wären? Nicht in einer Umgebung, die geprägt war durch eine intellektuelle Mittelschicht, sondern in der Nähe von St. Pauli, umgeben von Sexworkerinnen. Tja.

Die Reduktion des Selbst durch ein Attribut, das man so stark nach vorne stellt, ist die Kehrseite der Medaille. Ich fing also mit dieser Seite der Medaille, dem intellektuellen Austausch durch den Blog und den Austausch mit anderen Frauen, und kam dann viel zu spät zur Frage, ob ich einen anderen Weg hätte einschlagen müssen. Statt auf Hirn und Karriere zu setzen, wären zwei bis drei Scheidungen eine perfekte Altersvorsorge gewesen. Schönheit ist ein Marktwert, wenn auch kein seltener. Da fällt mir ein, dass der Social Media Influencerinnen-Markt sehr starke Sexwork-Vibes hat, denn der vermeintliche “Insta-Boyfriend” übernimmt häufig im Hintergrund die Rolle des Vermarkters, also die des Zuhälters. Die Parallelen sind nicht zu übersehen. Verkauft wird stets das gleiche: Eine Illusion.

Auch Schönheit ist eine Illusion, erzeugt durch Belichtung, Winkel, Make-up, und Photoshop.

Sehr spät habe ich gelernt, dass es etwas anderes gibt, was absolut alles in den Schatten stellt und was Männern viel früher mit auf den Weg gegeben wird: Attitüde.
So richtig habe ich es auch erst gerafft, als ich im Zuge des ü40 Datings (HUST) andere Frauen beobachtet habe. Attitüde ist eine Sache jenseits von Botox und Lipfillern, von Kleidergrößen und normativen Aussehen und kommt definitiv gepaart mit Macht. Solche Frauen haben Macht.
Tatsächlich führt also der Weg der Veränderung gesellschaftlicher Normen über den Bruch mit den gesellschaftlichen Normen. Es geht also stets darum, im privaten eine politische Entscheidung zu treffen (ich werde es jetzt in jedem Beitrag bringen LOL), die je nach Umfeld ganz unterschiedlich ausfallen kann.
Sollte jetzt der Einwand kommen: Ich will aber nicht so wie ein Mann sein/handeln/agieren – nun, keine Angst, so schnell wächst einem nicht ein Bart, ein grundloses Selbstvertrauen und vor allem: Wirst Du nie ein Mann sein, selbst wenn Du als Lesbe im Holzfäller-Hemd rumläufst, denn Du wirst immer irgendwann ausgeschlossen. Es geht also gar nicht darum wie ein Mann aufzutreten, sondern die Attitüde zu lernen, die Jungs und Männern zum Teil als Teil ihrer toxischen Männlichkeit auf den Weg mitgegebene wird: Du bist das Maßstab der Dinge.

…betrachtet frau diesen Satz “Du bist das Maßstab der Dinge” allerdings losgelöst von der ganzen Debatte der Rollenzuschreibungen (die leider sehr binär verbleibt, aber es dient der vereinfachten Aufnahme solcher Texte LOL), dann ist das eine Norm, die man durchaus ein wenig zurecht stutzen muss, aber ansonsten Geltung hat. Die Frage nach einem Mittelweg in diesem “Ich als Norm” stellt sich uns sowieso nur,weil wir die Sozialisierung als Frau haben. Diese Frage würde sich ein Mann nie stellen, oder (rhetorische Frage). Also, keine Angst davor, zum “Kerl” zu werden.

In der Kiste mit den verloren gegangenen Dingen müssten wir also eher nicht suchen. Wir bräuchten eine andere Kiste, nämlich die mit den Dingen, die wir nie hatten. So I leave you here mit einer Hausaufgabe: Was ist in der Kiste drin?

BYREDO Pulp Eau de Parfum

Pulp ist ein Duft “on steroids”. Nichts für schwache Gemüter! Das Fruchtfleisch-Grapefruit-Feigen-Gemisch schießt in die Nase wie Tränen in den Augen – unvermittelt und mit BUMM.

Während Düfte wie Jardin en Mediterranée einen Spaziergang am Mittelmeer evozieren, rast Pulp mit einem rostigen Traktor mit durchgeschnittenen Bremskabeln den Hang runter. Nimmt alles mit, Obst, Blätter, Zweige. Es ist laut, es ist langanhaltend, und es ist super obstig.
Die offiziellen Duftnoten sind:
Kopfnote: Bergamotte, Schwarze Johannisberre, Kardamom
Herznote: Feige, Roter Apfel, Tiare
Basisnote: Zedernholz, Pfirsichblüte, Praline

Nun, bis auf die Feige ist das alles nicht wirklich wahrnehmbar, die marmeladige Süße des Duftes ist matschig, klebrig, aber auch frisch. Keine Sekunde wird der Duft wirklich süß, er bleibt immer herb, dank den schwarzen Johannisbeeren. Ja, doch, die riecht man tatsächlich heraus, ich esse die unheimlich gerne als Marmelade. Der ganze Duft riecht wie ein Süßwarenladen, aber sehr erwachsen, vielleicht mehr wie eine gut ausgestattete Coktail-Bar. Meine Tochter findet den Duft spitze, sie ist allerdings auch sehr versessen auf Gummibärchen. Auch Byredo Blanche findet sie gut, also ist es entweder ihr guter Geschmack oder das Parfumhaus trifft ihren Nerv.

Die Haltbarkeit ist hervorragend bis penetrant, hier gilt: Viel Geld für viel Duft.

Wer also auf Feigendüfte steht, grundsätzlich auf fruchtige Sachen, sollte den testen und sich ein wenig Zeit beim Testen lassen.

Lustigerweise brachte BYREDO gerade eine blaue Flasche raus mit einem Duft, der BYREDO x Cactus Jack Space Rage Travx heißt. Er soll vom Weltraum inspiriert sein und duftet nach: kosmischem Staub, Antimateriepartikeln, Sternenlicht, dem Duft einer Supernova, atmosphärischem Dunst und dunklen Nebeln (Quelle: Fragrantica) und auch dort lese ich, dass es in Wirklichkeit der Duft Pulp sei, komplett anders verpackt und beschrieben, wodurch der Rezensent andere Nuancen am Duft entdeckt hat. Deswegen lese ich den Kram immer erst hinterher..!

Also, dieser Duft hat Jahre gebraucht bis er in meine Sammlung fand, ich bekam ihn geschenkt und habe mich darüber immens gefreut. Lustigerweise bin ich bei Parfums nie eine spontane Käuferin, es braucht Jahre, bis ich mich durchringe, etwas anzuschaffen und meist mehrere Anläufe. Wenn mir ein Duft nach Jahren noch in positiver Erinnerung bleibt, dann kaufe ich ihn. Der nächste wird Equistrius sein, das weiß ich jetzt schon, weil ich mehrere Proben hatte und den toll fand, und immer noch dran denke. Nur dass er jetzt doppelt so teuer geworden ist, meh.