Das erste Mal: Paralleluniversum Landwirtschaft
DISCLAIMER: Paralleluniversum bezieht sich auf mich, die von Landwirtschaft nichts weiß.
Heute habe ich mal richtig erfasst, dass ich seit knapp 20 Jahren in Niedersachsen wohne, und natürlich auch schon seit 44 Jahren landwirtschaftliche Produkte konsumiere. Wie es sich für ein richtiges Stadtkind und für eine “Intellektuelle” gehört, habe ich so richtig keinen Plan davon, was dieses ganze Essen und Zeug alles ist und wo es herkommt. Heute habe ich mir mal wieder belustigt bis ernsthaft, wenn auch nicht erbittert, die Frage gestellt, warum ich nicht “was richtiges” gelernt habe.
Es ist keine Lebenskrise, aber es ist krass seltsam, aus seinem Social Media- und Buchmenschen- und Klamottenkram mal richtig runter geholt zu werden. Und da stehste auf dem Acker, und der Häcksler und das Dingenskirchens dazu tanzen gemeinsam Ballett auf ein Stück Dauergrünland (da wächst Gras und so), um das Winterfutter für die Tiere reinzuholen.
Natürlich kam hinzu, dass wunderschönes Wetter war und milde Sonne – ich denke der Alltag in Norddeustchland ist in Wahrheit geprägt von fiesem Regen, bleierner Müdigkeit und durchdringender Feuchtigkeit in den Knochen bei einer de facto 7-Tage-Woche.
Während ich vor diesem Häcksler stand, und ehrlich, ich musste nachfragen wie man Häcksler schreibt, kannte die Dinger nur aus dem Spielzeug-Laden,- Modellbau Fahrzeuge anyone? und absolut nicht wusste, was das ist, natürlich völlig unbeeindruckt* von der Größe des Gefährts, erklärte mir meine Begleitung, welche Gräserarten ich da gerade mit meinen 400Euro Designer Schuhen niedertrampelte. Ich habe zwar Biologie als erstes in der Schule abgewählt, aber hätte ich dort wirklich gelernt, dass es zig verschiedene Gräserarten gibt? Vermutlich nicht, und hey, heute habe ich mal namentlich mit meine Allergenen Bekanntschaft gemacht.
Der Landwirt Thomas lud auch noch in den Kuhstall ein – vorbei an den ganzen landwirtschaftlichen Fahrzeugen und rein zu den Kälbern. Große, kleine, riesige Kühe. Und da stehe ich, mit meinem Burberry Seidentuch und roter Jacke, und werde von diesem Kälbern freundlich abgeschleckt, völlig eingeschüchtert die Hände in die Hosentasche, weil ICH Angst vor diesen Tierchen habe. Die haben nicht mal eine Kauleiste oben, davon mal ab, dass sie sich eher nicht für Menschenfinger interessieren. Und spätestens bei den “Babytieren” musste ich weg. Ich esse ja gerne Fleisch, und die Milchkühe und auch die Fleischkühe sind eben ein landwirtschaftliches Erzeugnis, das irgendwann auf dem Teller landet. Mit Liebe und Respekt, aber irgendwann trotzdem sehr tot.
Was mir allerdings imponiert hat, und das sehr sehr mächtig, waren die paar Leute dort, die mit traumwandlerischer Sicherheit diese Geräte bedienen, durch Kuhscheisse watten, mit einer Flex etwas abschneiden und dann reparieren, alles Dinge, die sich in 30 Minuten abspielen, und einfach Null, aber auch Null Allüren haben, wobei dieses das falsche Wort ist. Wenn ich jetzt authentisch schreibe, muss ich mich zwar selbst auf der Tatstaur erbrechen, aber das ist es.
Ich bin auch authentisch, eben in meinem eigenen Universum, und erstaunlicherweise kam ich mir da nicht fehl vor, denn ich war dort willkommen, weil diese Leute so offen und cool sind. Natürlich kam ich mir total bescheuert vor, mit meinen glitzernden Schmuck an den Fingern, der schicke neue Haarschnitt, und einer knallroten jacke, die noch unpassender nicht sein konnte. Ich hatte das Bedürfnis, mich auch schmutzig zu machen, und zumindest die Kälberspucke habe ich drangelassen. Das nächste mal schlecke ich zurück! Da werden die aber gucken! (Werde ich dann irgendwo eingesperrt??)
Vermutlich kann ich erst einmal kein Fleisch mehr essen, und jedes schnöde Brötchen wird jetzt eine eigene Lebenswelt sein, die man zu sich nimmt. Wie man hier Habermas reinbringen kann, als ob das relevant wäre! Kuhscheisse ist halt reeller, und manchmal braucht es hoffentlich auch solche Menschen wie mich, die Angst haben, ein Kalb zu streicheln, um diese Lebensrealitäten in Buchstaben zu fassen. Trotzdem, so zu arbeiten (und verdammt hart zu arbeiten) und so essentielle Dinge zu tun, was ist das für ein himmelsweiter Unterschied zu den unverhältnismäßig vielen Bullshitjobs!
Was mache ich hier eigentlich?! Es ist okay eine Bloggerin, Intellektuelle, Aktivistin und persönliche Stylistin zu sein – ich werde keine Grassorten(KORREKTUR: Gräserarten, Grassorten sind Kräuter zum Rauchen) Influenzerin LOL und Kalb&Kühe werden ein Randthema bleiben; dieses Parallelunviserum, dass aber das echte, eigentliche Leben darstellt, wird mich jedoch sicherlich noch beschäftigen. Ich darf nämlich wiederkommen und die Elisa, die dort mehr Feminismus und Gleichstellung lebt als in jedem Scheiß-Büro, wird mich auf einen diesen Monsterteilen mitnehmen und vielleicht kann ich dann auch endlich mal ein Tier anfassen. Kann wie in “mich trauen”. Wer wettet drauf?
*total fertig