Kleidung: Empowerment anstatt internalisierte Misogynie
Als Personal Stylist helfe ich Menschen, für sie passende Kleidung auszusuchen und gute Haltung einzunehmen – und das höre ich dabei immer wieder von Frauen:
“Meine Oberschenkel sind fett!” “Aber mein Busen ist zu groß!” “Nein, ich trage schon immer 75B, das da passt mir nicht!”
(Pssst: Kein Mann jemals. Die sagen: Ich will besser aussehen.)
Das Verhalten von oben nennt sich internalisierte Misogynie: Die Art Frauenfeindlichkeit, die wir mit der Muttermilch eingesogen haben, und nun sogar gegen uns selbst richten. Frauen haben so und so zu sein, Bodyshaming gibt es schon für Babys und Kleinkinder a la “ist sie nicht ein bisschen zu proper für ihr Alter?!”, und später schiefe Blicke und scharfzüngige Kommentare, von Freundinnen, von Verkäuferinnen, von der Kollegin. Frauen kritisieren bevorzugt Frauen.
Und so birgt Mode für die meisten Menschen in Wirklichkeit die Hölle. Kundige Verkäuferinnen haben da so ihre Tricks parat, entweder schleimen sie, dass sich die Balken biegen, oder aber demütigen solange, bis man alles kauft oder komplett am Boden den Laden verlässt. Am schlimmsten ist dabei Shopping mit Freundinnen: Der Vergleich findet permanent statt. Und wenn wir uns nicht vergleichen, dann rechtfertigen wir uns: “Ich habe in letzter Zeit so viel Stress gehabt, das schlägt sich auf die Hüften”.
Und die Hersteller nutzen es natürlich aus.
Es gibt keinen unpassenden Körper, nur unpassende Kleidung-klingt so trivial, wie es trotzdem nicht ist. Manche Hersteller schneidern grundsätzlich sehr schmal, andere sehr weit, andere kleben ihre XS auf eine größere Größe, um den Frauen ein gutes Gefühl zu geben. Und viele Menschen kaufen die falsche Größe, weil sie sich nach Größen richten, nicht nach ihrem Körper. Zu weit, zu lang, zu sackig, denn: “Das kaschiert so schön!” Das sind Sprüche, für die es in der Hölle einen besonderen Platz geben wird, hoffe ich.
Nein, kaschieren ist nicht Sinn und Zweck der Sache – genauso wenig wie Size Zero ein gutes Maßstab sein kann. Ersteres bedeutet sich unförmig und unsichtbar zu machen, Letzteres bedeutet sich auf sein Körper zu reduzieren und ebenfalls sich unsichtbar zu machen. Wo auch immer ich es las, der Spruch ist einfach herrlich: “Keiner wird an unserem Grabe stehe und sagen “Sie hatte immer einen durchtrainierten Arsch!”” Ein Mittelweg ist also angebracht, ja zum durchtrainierten Popo, aber nicht als Lebensinhalt.
Kleidung bzw. Mode, als Empowerment genutzt, hat drei Eigenschaften:
– Einfachheit
– Leichtigkeit
– Komfort
Einfachheit ist das, was uns leicht fällt. Das kann der Sack sein, ja, der Sack ist “erlaubt”, aber vielleicht muß er nur fünf Centimeter kürzer sein, um das perfekte Kleidungsstück für dich zu werden. Einfachheit ist Kombinationsstärke: Alles passt zu allem.
Leichtigkeit ist, wenn mich meine Kleidung nicht den ganzen Tag beschäftigt. Wenn ich nicht vor dem Spiegel auf dem Büroklo konsterniert feststellen muss, dass ich aussehe wie ein Clown. Kleidung, die gut zu mir passt und deswegen in den Hintergrund tritt. Sachen an denen ich nicht permanent rumzuppeln muß, weil ich unsicher bin wie es aussieht und sitzt.
Komfort ist bei vielen so kurz geraten, das ist erschreckend. Kneifende Bünde und Schnitte in die Haut, zu kleine oder grundsätzlich unpassende Schuhe, Reiben, Scheuern, das alles wird ertragen und toleriert. Gerade bei Schuhen, die Basis jeden Outfits, ist internalisierte Misogynie wunderbar zu beobachten. Sie sind zu klein, zu schmal, zu hoch – und jedes Bild mit einer Geschäftsfrau beharrt drauf, dass diese Highheels oder Pumps trägt.
Das macht zwar größer, aber es schädigt den Rücken nachhaltig und vor allem machen sie langsam, instabil und schwach. Egal wie gut man auf Highheels laufen kann, sie sind nun mal nicht zum dauerhaften Tragen geeignet. (Disclaimer: Ich liebe Highheels, ich trage sie aber nicht). Komfort und Ästhetik sind zu vereinen, durchaus, allerdings muss man dafür häufig etwas tiefer in die Tasche greifen. Und dazu der kneifende BH, die kratzige Strumpfhose und die unbeweglich machenden Kostüme: Diese Dinge haben Generationen traumatisierter Frauen erzeugt, die gerne Mode mögen, aber im verwirrenden Angebot nicht klarkommen und halbherzig immer wieder den Schrank füllen, und immer wieder unzufrieden sind.
Formelle Kleidung im Beruf bleibt, machen wir uns nichts vor, und sie ist eine schmale Gratwanderung zwischen Empowerment und Misogynie. Der Blick ins Dekolleté und Sprüche über die schönen Beine oder nackte Beine im Sommer? Misogynie. Power-Paint fürs Make-up oder Power Dressing ist jedoch eine nach innen gerichtete Aussage: Ich tue das für mich, um mich zu stärken, und damit wirkt es auch nach außen. Es ist dann Empowerment.
Werde ich hingegen permanent auf mein Äußeres reduziert, was nur in sehr wenigen Berufen angesagt ist, ist es schlichtweg Misogynie. Wir lesen es permanent, sobald eine Frau in die Öffentlichkeit tritt. Zu rot ist der Lippenstift, zu tief der Ausschnitt, selbst Angela Merkel hat es aufgegeben, nachdem sie als attraktive Frau aufgetreten ist und die Presse aufgrund eines Dekolletés vergaß, wer sie ist.
Dafür kann Kleidung nun mal nichts, und es ist durchaus geboten, sie zu unserem Zwecke zu instrumentalisieren. Single auf einem Date? Sicherlich nicht in Sack und Asche. Heute ein bisschen Vollgas geben? Sicherlich wirksamer, wenn man nicht von einer kneifenden Hose abgelenkt ist. In Erinnerung bleiben? Tut man, wenn das Gesamtbild harmonisch ist, oder sogar besser, beabsichtigt von der Norm weichend.
Das funktioniert übrigens auch in sehr formellen Kontext einer Versicherung oder Bank, wo die Wirkung durch einen viel sublimeren Einsatz erzielt werden muss. Da geht es häufig über Kleidung hinaus in Körpersprache und innere Haltung. Sichtbarkeit in einer pari inter pares Situation kann besonders wichtig sein, ohne als Angriff den anderen gegenüber gewertet zu werden. Da sind die vielen Puzzlestücke wichtig, die das Image der Person ausmachen und in jedem Kontext vorhanden sein müssen, um die Person als “authentisch” gelten zu lassen.
Authentizität kann man bauen.
Empowerment kann man anziehen.
Sichtbarkeit kann man lernen.
Und das Ganze bitte nachhaltig, ergo nicht nur für heute, nicht endlos Ressourcen reinbutternd, und als Grundstein persönlichen Wachstums betrachtet.
Give me a shoot, I show you how.