Eigentlich wollte ich den ersten Beitrag des Jahres mit etwas wesentlich harmloseren bestücken, nämlich Fenchel und Karotten, aber da gibt es etwas, was mir schon sehr, sehr lange auf der Seele liegt.
Wie macht frau eigentlich Karriere? Warum macht frau keine Karriere? Wieso heißt es gläserne Decke? Was ist der Boy’s Club und stimmt es, dass Frauen in Wirklichkeit nicht wollen?
Dazu möchte ich nicht “ranten”, wie es so schön auf hipsterdeutsch heißt, sondern tatsächlich mal etwas ausgewogenerEdit: ausgewogen geht nicht, merke ich gerade… || diskutieren. Ich sage was, und dann kommt ihr.
Fangen wir mit einem grundsätzlichen Gedankenstoß in einer anderen Richtung statt, nämlich die Debatte über den Mangel an qualifizierten Fachkräften. Damit ist jede und jeder mit einer Berufsausbildung bis hin zu einem Studium und gegebenenfalls noch andere Zusatzqualifikationen gemeint. Wo sind sie, diese Menschen? Jedenfalls nicht in der Führungsriege. Die etablierten Führungskräfte sind entweder bereits schon eigene Nachzüchtung (Elitenbildung) und durch den Boy’s Club bereits automatisch dabei oder sie haben schlichtweg nicht mal Abitur, sondern haben sich emsig hochgearbeitet in zwanzig bis dreißig Jahren.
Und diese Leute werden unter keinen Umständen jemanden den Platz freiräumen, der ihnen gefährlich werden kann: Einer hochqualifizierten, ehrgeizigen und gut vernetzten Frau. Natürlich haben auch Frauen ihre Netzwerke und sie arbeiten auch miteinander – wenn sie denn die sogenannte gläserne Decke überwunden haben. Diese ist übrigens ein überkommener Begriff, der impliziert, dass da nix zu machen sei, und vor allem das in der direkten Bedeutung auch Transparenz beziehungsweise Durchsicht bedeutet. Nein, nein.
Also, wo sind die Fachkräfte? Sie arbeiten Teilzeit-/Vollzeit, was aber bei 60 Stunden-im-Meetings-sitzen schlichtweg nicht sichtbar wird. Sie holen Kinder ab, kochen, kaufen ein… genauer teilen sie sich mit dem Partner, mit der Kinderbetreuung, mit dem sozialen Umfeld und dem Alltag allgemein die 24 Stunden, die der Tag hat. Warum trifft dieses Bild überwiegend auf Frauen, und nicht auf Männer? Und warum sollte dieses Bild auf den oder die treffen, die sich das aussuchen kann? Sagen wir mal 50-50, ob Männlein oder Weiblein.
1. Frauen wollen nicht.
Ich habe es häufig gehört, und das auch von Frauen, dass sie gar keinen Bock auf Karriere haben. Lieber die Kinder sehen, lieber Freizeit haben, statt einen schicken Titel an der Tür zu haben und dafür eben die allmächtige, daueranwesende und -arbeitende Maschine zu geben. Der Ehrgeiz fehlt schlicht, oder die Wahl ist pragmatisch, weil frau kein Bock auf die ewigen Konkurrenzkämpfe hat. Frauen sind schlichtweg vernünftig. Eigentlich ein gutes Bild – und eines, das entmündigt.
Frauen wollen bestimmte Rollen also nicht – genauer wird diese nicht beschrieben, und es stimmt eben auch nicht. Vielleicht sind die Antriebsgründe andere, vielleicht ist es nicht Macht, sondern Veränderung; jemanden aufgrund seines Geschlechts einen potentiellen Willen abzusprechen aufgrund einzelner Fälle halte ich doch für sehr… männlich. Quatsch! …es ist einfach dumm.
2. You can’t have it all
Das ist richtig. Man kann nicht Vollzeitmutter sein und 40 Stunden arbeiten, oder 60, das ist aber auch kein Grund. Man kann nicht alles gleichzeitig haben, das ist klar. Wer das behauptet, lügt. Und die nullkommanullkeks Prozent reicher Frauen, die Chefin sind und ihre Zeit frei einteilen, bei optimaler und flexibler Kinderbetreuung, nun ja, die bestücken gerne die Brigitte Seiten, sind aber nicht die Regel.
Wenn man nicht alles haben, wenn Mann auch nichts hat, wer hat dann was wovon? Man kann nicht fixiert sein auf Karriere bis 30 oder 40 inklusive Familie und Haus und Hof, und dafür keine Abstriche machen. Allerdings machen die Abstriche ja auch nur die, die aus diesem Trott rausgehen – und dann per gesetzliche Regelung NICHT wieder mitspielen dürfen. Wer Teilzeit arbeitet, darf nicht wieder zurück auf seine volle Stelle.
Man kann nicht alles haben – oder doch? Unterstützt durch gute Kinderbetreuung auch jenseits von Kindergarten, unterstützt von flexiblen Arbeitsplätzen, unterstützt von Ergebnisorientierung statt Anwesenheitspflicht. Klar, das ist eine Ebene, die einen bestimmten Berufsstand betrifft. Aber da es um die Quote in Führungsetagen geht, die so heiß diskutiert wird, reden wir eben über mittlere Managementebene und höher.
3. Gibt es den Boy’s Club?
Ja. Ich habe es gesehen und gehört. Darauf müsst ihr Euch verlassen.
Bist du erstmal dabei, ist alles gut, du wirst akzeptiert – nur… HIER KOMMSTE NET REIN!!
4. Was ist die gläserne Decke?
Alte, renitente Männer. Junge, total gleichberechtigt und so, in Wirklichkeit ebenso renitente Männer. Kennt ihr das – man sitzt in einer Runde und die Männer unterhalten sich über dein Kopf hinweg, machen Witze, dann bringt frau auch einen lustigen Beitrag und es wird einfach überhört. Oder irritiert geguckt. Das Gespräch findet stets über die Köpfe der weiblichen Anwesenden hinweg. Das habe ich so häufig schon erlebt, dass ich müde geworden bin, mich da einzuklinken. Nicht mal einen blöden Spruch mag ich da mehr bringen.
Ich weiß nicht was diese gläserne Decke ist, sie deutet ein wenig auf Chefetage im Blickfeld, aber das ist wirklich die reinste Lüge. Die Tür ist aus Holz oder was auch immer und du bleibst draußen. Punkt.
Und nun?
Ich weiß, dass diese Dinge kein Neuigkeitswert haben…
Ich weiß, dass wir uns ständig darüber aufregen, darüber selbst ungerecht und sexistisch werden, dass so viel schief läuft und unter dem Deckmantel der Gleichbehandlung doch nur Ungerechtigkeit und Vetternwirtschaft steckt (es heißt ja auch nicht Cousinenwirtschaft, gel).
Die Frau, die nur wegen der Quote zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird, aber den Job niemals bekommen wird.
Das bin ich und das bist du.
Und ja, früher dachte ich auch, es stimmt nicht, ich bin ja schließlich besser qualifiziert und überhaupt. Sorry, genau wie die verbrämten oder direkten unerlaubten Fragen im Vorstellungsgespräch – alles eine große Lüge.
Jungs, wenn ihr den Club aufmacht, dürft ihr vielleicht auch was vom geilen Leben einer Frau abhaben. Schon mal überlegt?
Es steht und fällt einfach alles mit der Mitarbeit der Männer. Die Schweiz ist ja das beste Beispiel: die Frauen haben erst das Wahlrecht bekommen, als sich die Männer dazu bequemt haben, es ihnen zu gewähren in ihrer Volksabstimmung (sie kamen erst beim 5. Versuch durch). Würden die Männer anfangen mitzuarbeiten, vielleicht auch mal Teilzeit und einen grösseren Teil an Hausarbeit und Kinderbetreuung übernehmen, könnten die Karrieren ihrer Frauen und langfristig auch die ganze Wirtschaft davon profitieren. Die Tendenz ist da, etwas zögerlich, aber ich habe doch das Gefühl, dass sich da langsam etwas tut in unserer Generation. Aber leider hat es doch noch genügend Machos, die nicht bereit sind, einen Teil Karriere abzugebenum ihre Frauen zu unterstützen. Und solange es die gibt, muss halt mehr in die Kinderbetreuung investiert werden.
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word.
Das ist leider alles wahr und richtig.
Ich finde mich in jedem Punkt wieder, und könnte auch langsam echt mal ein Buch darüber schreiben.
Im Endeffekt habe ich auch die Schnauze tierisch voll, will aber nicht mehr mein ganzes Leben lang kämpfen, deshalb ziehe ich sowas von meinen Hut vor dir!!
Ich LIEBE deine offenen Worte zum Thema Working Girl/Woman/Mom. Ich habe bei einer großen Firma entgegen meiner eingenen Erwartung eher viel Unterstützung der (wenigen) Frauen, die sich in Managementpositionen befinden/daran Interesse habe, untereinander erlebt. (Das war eine positive Überraschung).
Sexismus und ” ach, Sie sind aber jung/hübsch/Süß und wann kriegen sie denn Kinder?” Kommentare dagegen fast jeden Tag. Und wenn man fachlich/charakterlich echt was drauf hat wird man ganz schnell an seinen Platz verwiesen (insbesondere von vielen Männern – aber ich möchte nicht die Mehrheit unterschlangen, die sich als nette Menschen gezeigt haben, trotz möglicher Vorurteile)
weil… die es einfach nicht sehen können, dass eine Frau genauso oder sogar klüger und eventuelle besser/erfolgreicher/selbstbewusster/gebildeter/whatever ist als sie.
Ich habe gekämpft und hatte meinen Triumph am Ende. Aber es war ein bitterer Beigeschmack dabei, weil ich doch soviel Energie investieren musste, selbst an mich zu glauben, an meine Ergebnisse, und positiv zu bleiben. Im Moment stehe ich eher auf der Stelle (bin danach weg aus der Abteilung bilde mich weiter), weil ich nicht schon wieder Lust auf sowas hatte, insbesondere wenn Kollegen bzw. der Vorgesetzte versuchen die Ergebnisse (auf vermeintlich) witzige Art in den Dreck zu ziehen und die eigene Arbeit zu boykottieren.
Es ist einfach nur schade, dass die Gleichberechtigung von allen, die nicht Herr xy (ohne ihn näher zu charakterisieren) sind, in Deutschland überhaupt noch diskutiert werden muss – und, dass sie sowenig diskutiert wird.
Vor Allem kann eine sehr schlechte Erfahrung, wie in meinem Fall, eine Person wirklich Kraft und Zeit kosten. Das Leben wäre doch so schön, wenn die Menschen den einfachen Spruch beherzigen würden: Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden möchtest.
Gerne mehr dazu auf deinem Blog. Es spricht mir oft aus der Seele.
Stimmt alles.
Aber leider hilft es nix – da muss frau durch und weitermachen!
Trotz der Männer und leider auch vielen Frauen, die dumme Sprüche machen. Ich muss mich bspw. ausschliesslich von Frauen fragen lassen, wieso ich denn überhaupt Kinder bekommen hätte, wo ich doch Vollzeit arbeite(n will)…
Lächeln, abschütteln und weitermachen. Gut sein, sichtbar sein, überzeugen – ein anderes Rezept kenn ich leider auch nicht.
Und die Partner nicht aus der Verantwortung lassen 😉 gleichwertig einbinden – auch das heisst für mich Beziehung auf Augenhöhe.
Word. Und je mehr Kinder frau haben möchte (dieses gierige Stück) desto schwieriger wird’s. Ich habe bisher nur einmal im Bekanntenkreis erlebt, das der Mann auf 30h runter gegangen ist. Sonst hätte sie entweder a) gar keine Stelle gefunden oder b) nur eine mit 20h und um diesen vorbildlichen Mann zu zitieren “Dann braucht man auch gleich gar nicht mehr anfangen, wenn man noch was erreichen will”. Und so sieht’s aus.
Auch oft erlebt: “Na will nich wissen mit wem die geschlafen hat um die Stelle zu kriegen” Höre ich eigentlich bei JEDER Beförderung einer Frau. Auch gern von anderen Frauen.
Ich finde es toll, dass du auf deinem Blog auch immer wieder diese Themen anschneidest, denn leider ist das einfach wahr.
Es gibt den interessanten Vorschlag der 70%-Unternehmen, d.h. dass alle (inkl. oberste Führung) 70% arbeiten. Das finde ich eine bedenkenswerte Idee (wohl auch unrealistisch, aber darüber nachdenken kann nicht schaden). Denn ich sehe eines der grössten Probleme darin, dass die Arbeitspensen von Frauen und Männern so weit auseinanderliegen. Wenn beide ähnlich viel arbeiten, ergibt das einfach eine gleichberechtigtere Partnerschaft. Natürlich kommt dazu noch das Problem der Lohnungleichheit, denn so lange Männer mehr verdienen, ist es auch finanziell unattraktiv, dass sie ihr Pensum senken. Zusätzlich würde mit solchen 70%-Unternehmen das Problem der geringeren Aufstiegschancen, welche leider viel zu oft mit Teilzeitarbeit einhergehen, gelöst. Natürlich sind das nur Ideen, Träume wahrscheinlich. Aber auch in Bezug auf aktuelle Trends wie zunehmende Burnouts etc. wäre es durchaus ein interessanter Ansatz…
I., das finde ich einen sehr interessanten Ansatz! Ich arbeite an einer Uni, an der zurzeit Teilzeitprofessuren diskutiert werden. An sich ja auch positiv, nur werden diese Teilzeitprofessuren dann nicht zur Familienzeit genutzt, sondern um noch mehr Geld zu scheffeln, indem man Aufträge annimmt und Vorträge hält. Den Missbrauch müsste man also irgendwie sanktionieren.
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Elissar, das ist zwar nicht die Idee, auch hier finde ich aber, wenn es Frauen und Männer gleich machen, ist es eher ok. Das Problem ist aber wohl, dass dem eben nicht so ist. Du bist ja auch aus der Schweiz, habe ich mitbekommen. Zu dieser Idee war letzten Sonntag ein Artikel in der NZZ am Sonntag…
Danke für den Hinweis, werde ich mal anschauen!
Elissar kürzlich veröffentlicht..… Chanel: Le Vernis 643 “Désirio”
Traurig, aber wahr. Ich sehe es fast täglich im Büro – den jungen und unerfahrenen Kerl, der viel zu schnell befördert wurde und als Prodigy behandelt wird (er darf zu spät zu Meetings kommen, er darf frei neue Strategien ausprobieren, er darf auf Augenhöhe mit dem Chef diskutieren) und auf der anderen Seite die erfahrene Kollegin, die sich ihre Position und ihren Ruf hart erarbeitet hat und vom Chef permanent an der kurzen Leine gehalten wird. Jedes Wort muss abgesprochen werden, ihre Denkanstöße werden entweder ignoriert oder niedergemacht. Alltag in Deutschland.
Ich sehe auch die positiven Veränderungen, sehe dass ich viel mehr erreichen kann als noch meine Mutter vor 20 oder 30 Jahren. Aber diese Änderungen (politisch, innerbetrieblich, in der Gesellschaft, in Mann-Frau-Beziehungen) brauchen verdammt viel Zeit. Wollen wir zu viel in zu kurzer Zeit?
Ich weiß nur, dass es sich irgendwann auszahlen wird. Die Frauen der 68er Generation haben nichts mehr davon. Vielleicht werden auch wir bis zur Rente für alternative Arbeitsmodelle und transparente Strukturen kämpfen. Und denken, dass wir nicht weit gekommen sind. Aber vielleicht ermöglicht es unseren Töchtern (und Söhnen!) gleichberechtigt ihrem Arbeits- und Privatleben nachzugehen. Und das wäre es wert.
Man darf nur nicht aufhören, auf diese Ziel hinzuarbeiten.
Leider wollen manche Frauen wirklich nicht. Beruflich bedingt habe ich sehr viel mit ganz jungen Studierenden zu tun, Erstsemestern.
Wenn ich “die Jungs” frage, was sie denn so vorhaben, später, nach BSc, MSc und PhD, dann kommen Sachen wir Nobelpreis, Vorstandsvorsitzender, Start-Up-Gründer.
Wenn ich “die Mädels” frage, dann höre ich immer öfter: “Später, wenn ich dann verheiratet bin und Kinder habe, dann möchte ich gerne halbtags arbeiten”.
*argh*
Da könnte ich regelmäßig den Kopf an die Wand hauen. Erst deren und dann meinen. Klar, jede/r soll selbst entscheiden, was sie/er mit und aus seinem Leben machen will, aber wo um Himmels willen kommen solche Vorstellungen her?
Sind die Eltern der 18-20jährigen nicht genau die Frauen, die als erste Generation voll von den Errungenschaften der 68er profitiert haben? Ist das ein Rückzug in tradierte Rollenbilder aus Angst vor der schier grenzenlosen Welt? Was ist das?
Mich macht das regelmäßig total ratlos.
Ich für meinen Teil schnitze seit einigen Jahren an meinem persönlichen Vorschlaghammer, der zumindest die gläserne Decke direkt über mir in Millionen kleiner glitzernder Glassplitter zerlegen wird. Und die färbe ich dann pink ein und mache mir Ohrringe daraus, jawoll.
🙂