Und täglich grüßt die Pandemie…
Mein Festnetztelefon klingelt. Frisch eingerichtet, haben diese Nummer zwei Leute: Ein Journalist, dem ich just ein Interview gab, und meine Eltern. Es ist meine Mutter. Wir reden und es geht um Corona. Um Impfungen. Um die Tatsache, dass wir mit mehreren Leuten in verschiedenen Orten versuchen eine Impfung für die Kinder zu bekommen, die sogar heute zugelassen wurde, aber noch nicht “empfohlen” wird, weil Verwaltung. Es müssen Gremien tagen und Beschlüsse gefasst werden und alles muss geprüft werden und korrekt sein. Was dem einen ein Verwaltungsakt, ist dem anderen ein krankes und demnächst schwerbehindertes Kind. Inzidenzen zwischen 300 und 1300 bei Kindern – dabei war mal bei 50 absoluter Lockdown.
Doch das Kopfschütteln diesbezüglich soll gar nicht das Thema sein. Meine Eltern sind es. Ein Beispiel für toxische Männlichkeit, für Egoismus, für schlechte mediale Kommunikation einer Krise seitens der Regierung und der Medien.
Meine Eltern, 50 Jahre verheiratet, beide gebildet, beide intelligent, beide Pech im Leben gehabt. Aber trotzdem irgendwie ein Leben, mit Enkelkindern, mit Schrebergarten, mit Einkaufen zum Wochenende, mit zugegebenermaßen sehr wenig Kontakten, viel im Ausland, aber immer noch in der Welt. Internet-Anschluss und Smartphone werden irgendwie auch beherrscht. Skypen mit Kanada, mit Ungarn, Österreich, mit Frankreich – das Leben vieler Migranten sieht so aus, nehme ich an.
Und dann Corona. Meine Mutter lässt sich impfen, als es vom Hausarzt angeboten wird. Skeptisch ist sie, aber sie hat einiges in ihrer Berufslaufbahn gesehen, und ist medizinisch ausgebildet – der einfache Zugang zur Impfung ist für sie das Argument. Und sicherlich auch die Tatsache dass ihr Neffe Arzt ist, und sich hat sofort impfen lassen. Mittlerweile findet sie die Informationslage desolat – was soll man glauben? Ihre Infos bezieht sie klassisch über die öffentlichen Medien und über Hörensagen. Sie ist skeptisch, sie ist mißtrauisch, hat sich aber DAFÜR entschieden, als das Impfangebot niedrigschwellig wurde. Heute sagt sie, sie ist immer noch verunsichert und versteht nicht, warum dreifach geimpfte Leute trotzdem krank werden, ist aber in erster Linie besorgt und nicht verschwörungstheoretisch unterwegs.
Und dann mein Vater. Mein Vater gewinnt jedes “Wer wird Millionär” Quiz. Eine hochgradig politische Person, schon immer, stur, stolz. Na ja, Generation “ich kenne den nicht wirklich”. Jemand, der mir verboten hat, Fußball zu spielen, weil es nicht “weiblich” ist, oder beim Umzug lieber alles selbst gemacht hat, statt mir zu zeigen wie es geht. Er hat gelernt wie man einen Computer nutzt, schlägt sich seit jeher mit sämtlichen administrativen Kram um, ist aber “alte Schule”. Tadellose Manieren und Fingernägel, dafür voll toxischem Stolz. Ein richtiger Mann *kotzsmileyeinfüg* – und natürlich nicht geimpft. Er ist überzeugt schon Corona gehabt zu haben, was ich absolut glaubwürdig finde, aber will das nicht abklären lassen. Ein Mann, der eine einfach behandelbare Krankheit eskalieren lässt, weil er nicht zum Arzt will. Seine Infos bezieht er aus dem staatlichen Fernsehen anderer Länder, die vielen Freunde und Verwandte im Ausland, ähnlich steinalt, haben scheinbar null besseren Einfluß. Ist es das Alter oder doch eher die Sozialisation? Seine Biographie prägt ihn, und die war nicht einfach. Das strenge siebenbürgische, katholische Umfeld fordert bis heute ihren Tribut. Ich habe Verständnis dafür, doch muss auch ich als Elternteil am Ende des Tages sagen: Ich mache es besser. Und wenn es um Dinge wie Pandemie geht, sind persönliche Befindlichkeiten nicht gefragt. Ein wenig Schiß vor der Impfung, Schiß vor Dingen, die ich nicht wirklich verstehe, habe ich natürlich auch – am Ende entscheide ich mich für die Wissenschaft und für das Vertrauen darin, dass andere ihr Handwerk beherrschen.
Ich würde mittlerweile sagen, zusätzlich zur wirren Kommunikation staatlicherseits, handelt es sich bei Impfverweigerung in erster Linie um toxische Männlichkeit. Kulturell bedingte Sozialisation. Männliche Toxizität zeichnet sich insbesondere dadurch aus, alles besser zu wissen, in stark/schwach zu unterteilen, und scheinbar Informationen nur dann zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie einem passen. Das Bonusheft des weißen, alten Mannes enthält heuer Privileg 1-11. Eine Möglichkeit der Revolte! Ich, der Kämpfer!
Dass ich meinen Vater öffentlich “in die Pfanne haue”, tja, ufff : Mir geht es darum, zu zeigen, was Erziehung und Kultur für einen schlechten Einfluß auf Menschen haben können.
Dieses sehr alltägliche Beispiel zeigt wie schwierig es wird, für uns etwas jüngere Menschen irgendwann sicherlich auch, mit der Welt zurecht zu kommen. Mit sich selbst zurecht zu kommen ist hart, wenn man nicht permanent an sich arbeitet, was de facto ein Luxus ist. Politik oder Privatleben, wir befinden uns permanent in einem Spannungsfeld aus Halbwissen, Unehrlichkeit und kulturellen Mustern, schlimmstenfalls, und agieren zuweilen nicht nur irrational und unlogisch, sondern auch selbst gefährdend.
Die Pandemie führt das deutlich vor unseren Augen.
Kommunikation ist da so unglaublich wichtig, eine konzise Linie, Information und Steuerung. Es hätte niemals so eskalieren müssen, wie es derzeit tut, und das zeigt die Vergangenheit auch deutlich, als zumindest eine kurze Zeit lang alles in eine Richtung lief: Pandemie, Lockdown, Warten auf Impfung.
Die Strategie der deutschen Regierung, sich möglichst wenig zu bewegen und möglichst wenig zu entscheiden, also Vermeidungstaktik, hat nach dem ersten Lockdown absolut nicht gefruchtet. Wenn ich an Macron denke, der mit dem Ausruf “Wir sind im Krieg!” loszog, neige ich zu Merkels Variante, die weniger dramatisch war, doch sie hat ihre Appeasment Politik leider ad absurdum getrieben und es allen recht gemacht, zumindest all€n (€ufthansa, €utobranche, €nergiebranche) wirtschaftlichen Betrieben, und Null den Arbeiter:innen und Frauen und allen anderen, die es benötigt hätten.
Stattdessen beherrschen nicht nur private Zerwürfnisse den Alltag, meinen Alltag beherrscht die massive Angst vor Long-Covid der Kinder. Letztes Jahr dachte ich, ich würde verrecken – das war entspannter.
Jetzt bete ich, dass möglichst wenig Kinder sterben und leiden, die am Ende des Tages den Egoismus der Leute ausbaden, die sich schon lange haben impfen lassen können.