Auch Männer lassen sich liften

Auch Männer lassen sich liften bzw. unterziehen sich Schönheitseingriffen für beruflichen Erfolg, Christian Lindner ist ein ausführlich auseinander genommenes Beispiel (Danke Twitter und CommiMommy, hier alles lesen: https://twitter.com/thecommiemommy/status/1532669556262682624?s=20&t=RuWzlA-Pa3C3QAw6Ncjpyg).

Spätestens nachdem Sebastian Kurz, der schleimige Schwiegersöhnchen-Typ mit absolut null Hintegrund, Kanzler in Österreich wurde, wissen wir, dass das Äußere maßgeblich eine Rolle spielt, auch für Männer, die in der Öffentlichkeit stehen. Anders als Frauen wird ihnen allerdings ein attraktives Äußeres NICHT zum Verhängnis, ganz im Gegenteil. John Biden ist übrigens auch zu Tode geliftet. Stellt Euch vor, Angela Merkel hätte was machen lassen, sie wurde ja schon krass kommentiert, als sie ein Kleid mit Dekolleté trug.

Das zeigt wieder die offensichtliche Doppelmoral, dessen ich mich auch nicht wirklich frei machen kann. Sollen alle machen, was sie wollen, aber es nicht abstreiten? Ist es nicht privat? Was aber, wenn man in der Öffentlichkeit steht und ein Role Model ist?
Sollen alle bloß verstehen, dass es solche perfekten Menschen nun mal nicht gibt? Wenn, dann sind es eine Handvoll von Milliarden.
Sind wir wirklich glücklicher mit einem faltenfreien Gesicht? Oder rechtfertigt der berufliche Erfolg die Investition und das gesundheitliche Risiko? Ist es ein Distinktionsmerkmal *guck mal, ich habe Geld*?
Haben wir jetzt weniger Patriarchat, wenn auch Männer sich dem Diktat der Schönheit beugen-müssen? Finde, da ist nicht viel gewonnen, wenn ich ehrlich bin.

Interessanterweise hat Lindner die Eingriffe geleugnet, aber eine Haartransplantation zugegeben. Wohl zu offensichtlich. Der Rest ist manchen Kreisen und bei Frauen ohnehin relativ üblich, Lidstraffung, Kinn auffüllen, Botox, das Übliche, und ich finde, er könnte dazu stehen. Warum nicht. Er kann es sich leisten. Und er ist sowieso kein Sympathieträger, was hat er schon zu verlieren. Kompetenzen, die man ihm absprechen kann, sind mir nicht bekannt. Aber nice anzusehen ist er definitiv. Spannender ist es ja auch, was es über seine Wähler*innen aussagt. Und das ich recht habe, dass gut aussehende Menschen es im Leben leichter haben, zumindest solche, die dem Mainstream entsprechen, also männlich gelesen werden-kleiner Scherz natürlich; und einige männliche Politiker nur durch tadellose Kleidung auffielen, sonst nix (Scheuer?!).

Wir waren und sind dem Jugendwahn verfallen, ironischerweise wird es ausgerechnet jetzt, wo wir so lange leben, immer krasser. Sicherlich auch dank der Möglichkeit für den Mainstream, sich so etwas anzutun. Der Wunsch nach ästhetischer Optimierung ist einfach da. Rational, irrational, politisiert oder nicht.
Wichtig ist, das man sich damit nicht selbst schadet, dass man es reflektiert angeht, und dass man Spaß daran hat. Und im Zweifel gilt das auch für Politiker wie Lindner. Macht, Erfolg und das wesentlich bessere Gesicht in der Zeitung zu sehen war ihm scheinbar sehr wichtig, also hat er ebendiesen Weg beschritten. Why not. Auch [zensiert] sind Menschen und vice versa.

Betrügende Influencer: Der Fall K. und die Bedeutung für die Politik

Die Politiker*innen, die sich an der Pandemie bereichert haben, sind, falls männlich, ungeschoren davon gekommen, falls weiblich, nicht ganz; nun tauchen auch Influencer auf, deren Großzügigkeit sich als lebensgefährdender Betrug rausstellt.

Der Fall ist schlichtweg menschenverachtend. Was ist passiert? Die als “fair hergestellt” deklarierten Masken kamen aus Bangladesh und wiesen Qualitätsmängel auf. Sie wurden als großzügige “Spende” an Flüchtlingscamps verteilt. Der Influencer betreibt einen Hof, wo man für Kost und Logis allerdings Arbeitsleistung erbringt; einen zertifizierten Mode-Label, ist Musiker und Webdesigner und so weiter. Wer berühmt ist, muss die Kuh fix melken.

Das Problem dabei ist nicht nur, dass er als Arschloch da steht, sondern dass er schlichtweg Menschenleben gefährdet, und seine öffentliche Entschuldigung ausgerechnet damit beginnt:

Die meisten von euch mochten mich vor vier Tagen mehr als heute.

Es geht um Millionen, denn der Berühmtheitsstatus ist gekoppelt an Werbeverträge, bezahlte Auftritte und Kooperationen mit großen Modeplattformen. Er habe den Überblick verloren, sagt der Geschäftsmann, der Unangepasstheit vermarktet, hat aber nachweislich so ziemlich alles gewusst, wie man recherchiert hat. Es geht alleine bei den Masken um eine halbe Million Gewinn, trotz öffentlicher mehrfacher Behauptung, er habe nichts daran verdient, sondern sei nur “Gallionsfigur” dafür gewesen.

Ich habe übertrieben und das muss ich mir in Zukunft abgewöhnen.

Okay, ich habe dazu mehrere Anmerkungen.

Das fehlende Unrechtsbewusstsein und die Aussagen wie “ihr habt mich nicht mehr so lieb” und auch “ich habe ja bloß übertrieben” lassen auf die typische Sozialisierung schließen, die einem sog. weißen Mann zuteil wird. Als Maßstab der Dinge gilt “es ist doch alles nur Spaß!” und so wird Recht und Unrecht einfach eine große Grauzone. Er wird sich jetzt als Opfer inszenieren und seine Fans um Unterstützung bitten, die ihm als Identifikationsfigur diese gewähren werden. So können sie sich gemeinsam mißverstanden und falsch behandelt fühlen. Da sich diese Gemeinsamkeit nicht durch persönliche Nähe herstellen lässt, werden Geldmittel als Ausdruck dieser Unterstützung fließen. Es ist somit sehr wahrscheinlich, dass der Influencer da noch in einer akzeptablen Gewinnzone bleibt, bis er alles abgewickelt hat und aussteigt. Mist nur, dass die Staatsanwaltschaft jetzt guckt.

Die Verbindung zu About You, einer Online-Handelsplattform, das bis 2025 einen Milliardenumsatz erreichen will, stinkt. About You kann trotz mehreren Dementi des CEOs nicht! nicht von der Herkunft der Masken gewusst haben. Der CEO ist zudem auch so ein Besessener, der als letztes Interview bekannt gab, in die Politik gehen zu wollen. Da geht es also um sehr viel mehr als um Geld, bzw um das, was Geld bekanntlich kauft: Politischen Einfluß. Natürlich sind solche Skandale Peanuts im Verhältnis zu Scholz und Cum Ex, aber es ist immer auch ein Hinweis dafür, woraus sich Dinge entwickeln. Die Verbindung von “guter Sache” und durchaus guten politischen Willens, kann nicht immer über die Umsetzung hinweg sehen lassen. Auf diesen Influencer gesetzt zu haben, zeigt sich nun als Fehler.

Weibliche Influencerinnen, die erfolgreich sind, haben idR absolut keine politische Aussage, sondern beschränken sich auf Fashion. Elternschaft maximal, weil das eine absolute Gelddruckmaschine ist, kenne mich aber da nicht aus. Da wiederum gab es keinerlei Skandale, offensichtlich weil sich die Damen nicht zusätzlich als “Gutmensch” darstellen. Chiara Ferragni und wie sie alle heißen, haben keinerlei politische Aussage. Das ist wiederum eine ziemlich bizarre Sache, weil sie einen eklatant großen Einfluß haben könnten – die Frauen wiederum aber scheinen von keinerlei Machtbewusstsein besessen zu sein. Geld? Nice! Gesicht in allen Medien? Nice! Reicht das ihnen oder sind sie einfach nur klüger?

Also: POLITIK.
Es geht hierbei also nicht nur um Beschiss des Finanzamtes, sondern um lang angelegte Strategien. Influencer sind die neuen medialen Stars, die vielleicht nicht in der Gala sind, aber deren “nebenbei” Aussagen einen großen Einfluss haben werden. Wer jetzt in die richtigen Leute investiert und mit denen wächst, erkauft sich rechtzeitig eine Fanbase, die mit wächst und vor allem in den richtigen Positionen sein wird. Es geht also nicht nur um den einen weißen, männlichen Influencer, sondern um alle weißen Männer, die in zehn Jahren aus der elternfinanzierten Hipster-Rolle in die entsprechenden Corporate-Funktionen gewechselt haben werden. Diese rechtzeitig als Gefolgschaft zu haben, zu kennen und zu steuern, ist der feuchte Traum eines jeden Unternehmers. Denn eines ist klar: Geld macht nicht satt. Die einzig wahre Droge, siehe Musk und Bezos, ist Macht.

tl;dr die Zusammenfassung: Männliche Influencer lügen und lehren ihresgleichen, dass man damit durchkommt. Unternehmer, die solche männlichen Influencer nutzen, bauen zeitgleich eine Plattform für ihre wie auch immer gearteten Zwecke auf. Es geht irgendwann nicht mehr um Geld, sondern um strukturelle Einflussnahme.

Mein Fazit: Wird der oben genannte Hamburger CEO tatsächlich eine neue Partei gründen, mit dem Ziel, die Ungleichheit zwischen Arm und Reich zu nivellieren, könnte man in zehn Jahren sagen, okay, es gab unternehmerische Entscheidungen, die falsch waren. Jetzt gilt es das große Ziel zu verfolgen. Ich wäre sowas von dabei! Aber: Die Erfahrung lehrt uns, dass so etwas nicht passiert. Oder zu spät, siehe Bill Gates. Legt Euch diesen Beitrag auf Erinnerung für 2030.

Die neuen Klone – Insta Influencerinnen und ihre Schönheitseingriffe

Es ist zehn Uhr abends on the ‘gram, wie die Amerikaner:innen sagen, und die Fashion/Make-up/Berufshausfrau Community wird mir in die Timeline gespült. Alle Bilder, die ich ansehe, sind thematisch ähnlich, es sind Schmuck-Visuals oder aber Influencerinnen, die vom Laufsteg berichten.

Die meisten, selbst die bekannten Influencerinnen kenne ich nicht, ich sehe gefühlt immer wieder die gleichen Gesichter und scrolle gelangweilt weiter. Insbesondere in der 20-30 Riege ist es Gesetz, aufgspritzte Lippen, eine operierte Nase, Filler in den Wangen und Silikon-Brüste zu haben. Es ist ganz normal. Die perfekt tätowierten Augenbrauen und die perfekten künstlichen Wimpern, nicht zu viel, nicht zu wenig, sind selbst in der Provinz in der Altersriege 15-85 (meine Nachbarin!) normal. Die Gesichter unterscheiden sich immerhin noch.

Immer wieder denke ich, die kennst Du, aber eigentlich erkenne ich absolut niemanden wieder, alle Nationalitäten, alle Altersgruppen, sie scheinen alle den selben Chirurgen zu haben oder mit diesem einem Bild dahin zu gehen. Ich würde vermutlich mit einem Bild von Angelina Jolie oder Irina Shayk zur OP gehen – und doch sind diese unverkennbar. Die in verschiedenen Blondtönen und unterschiedlichen Stadien der Lippen-Aufgespritzheit erhältlichen Influencerinnen oder Models hingegen scheinen sich erratisch ins Endlose geklont zu haben. Ganz ersichtlich ist es nicht, was sie verkaufen, es scheint tatsächlich einfach ein Lifestyle zu sein.

Und dann klingelt es bei mir, spät immerhin, aber es klingelt. Die amerikanische Karriere ist die einer sog. “trophy wife”, und das Bild der Haufrau, die zuhause belibt, und shoppt und den Nachwuchs aufzieht, wird endlos auf Instagram perpetuiert. Die Männer existieren nicht, dafür Chanel-Handtaschen, große Häuser und Autos, und manchmal auch niedliche kleine Kinder, die auch schon vor die Kamera gezerrt werden. Schwierig.

Ein Investment ins Äußere für den Heiratsmarkt ist immer noch üblich, und der Prototyp wurde auf Instagram auserkoren – eine modische Erscheinung, die schmerzhaft und teuer ist, aber zum guten Ton dazu gehört. In Amerika wird auch früh geheiratet – und früh operiert.

Die Gegenbewegung feiert sich als stay-at-home Vater und als Single-“Bitch”, die einen Mann gar nicht braucht. Immerhin. Darunter finden sich viele Schwarze Frauen, die aus diesem Rollenmodell scheinbar erfolgreicher ausbrechen. Doch auch da gibt es die Vorlage für den Chirurgen: Schmale Nase, hohe Wangen, aufgespritzte Oberlippe. Und dazu stets ein aufhellendes Make-up.

Es ist schon eine schräge Branche. Je länger ich schaue, desto weniger fühle ich mich darin “passend”, und während ich meiner fast 80jährigen Mutter erläutere, was ich tue, und was Influencerinnen sind und das ich auch eine bin (ja, nun) – überlege ich parallel, ob ich nicht, um das Cliché zu erfüllen, so etwas machen müsste. Also nicht zur Pediküre, sondern zum “Bla Irgendwas Laser Dingsi Botox Hmpf” gehen.

Die wenig witzigen Kommentare von Tüppen, ich solle mir doch XXYY machen lassen, zeugen von einer gesellschaftlichen Körper-Dysmorphie. Die gab es schon immer, sind Porträts bereits gefälscht worden im Sinne von “verschönt” – doch jetzt nimmt es absurde Ausmaße an. Und dieses kann ich statistisch belegen, sind die Beiträge auf meinem Blog zu Schönheitseingriffen doppelt so beliebt wie alles andere. Weil ich es in Frage stelle? Weil es so viele beschäftigt? Weil wir verwirrt sind, was wir für “ein Bild” abgeben wollen? Immerhin sind weiße Haare jetzt nicht mehr revolutionär, und mindestens zwei weibliche Hollywood-Stars haben jüngere Partner.

Die Klon-Industrie ist aber eine erfolgreiche: Wie ein zoologischer Garten, in dem unterschiedliche Exponate unterschiedliche Dinge tun. Mir ist nicht ganz klar, warum sich Menschen für so etwas interessieren – ich tue es auch, ich lese Klatsch-Zeitschriften und bin selbst ein Subjekt in einer winzigen Sphäre. Obwohl ich mir so durchschnittlich wie nix vorkomme, breche ich immer wieder aus der Norm raus, was viele faszinierend finden. Das wiederum widerspricht den endlos geklonten Influencerinnen, einer immer gleichen Ästhetik und gleichen Handlung. Wobei, das gibt uns ja auch Sicherheit, und selbst Filme und Bücher gehen nach dem gleichen Plot vor, immer wieder.

Doch, wenn wir bei der Soziologie bleibe, brauchen wir die Klone genauso wie die Rebellen gegen die Normen, sie bestätigen ja einander. Doch wann kommt Bewegung rein? Durch die Zuschauer:innen und Leser:innen, die mit der Message der Influencer:innen, auch wenn es keine gibt, im Alltag umgehen. Ob sie Produkte kaufen, nicht kaufen, und was ich konsterniert feststelle: Ob sie unterm Messer landen oder nicht.

Die Klone treffen auf die Hyper-Individualisierung. Was bleibt?

Die Erkenntnis, dass alle zu einer amorphen Masse werden, weil sie anfangen, sich zu ähneln. Wirklich heraus stechen tun “Störfaktoren” – also gilt es zu erkennen, dass die schiefe Nase, die Narbe, die sichtbare oder unsichtbare Behinderung keine Schwäche sind, sondern einzigartige Dinge, die Komplexität erzeugen und die Klon-Armee hinter sich lassen.

Übrigens gibt es Menschen, die nicht erkennen, das dieses Bild absolut ironisch gemeint ist:

Die professionelle Bloggerin

Diskussionen über mein Metier blocke ich ab mit dem Satz: “90 Euro für die angefangene halbe Stunde” – und das “wir können ja mal gemeinsam shoppen” ebenso. Natürlich beantworte ich Fragen, gebe Tipps, suche was raus, aber ich überlege jetzt dreimal, ob ich die Zeit wirklich habe.

Der Tag beginnt und endet am Handy, das Essen ist nebenbei, und Sport gehört zur Arbeitszeit. Salat, Schokolade und Sport, Schlafen, alles kreativitätsfördernde Dinge! Der Rest ist wenig glamorös, sitzt man ungeduscht in wilden Klamotten, perfekt lackierten Nägeln und Duftwolke XY am Schreibtisch. Die Recherche-Ausflüge in die Parfümerie enden immer gleich: Feststellen, dass man alles schon hat, kennt, und qualitativ betrachtet nicht featuren kann, denn das Wort Luxus weckt Erwartungen und hängt wie ein Damoklesschwert über mein Haupt: Ist das Luxus, oder ist das einfach nur “nice”?

Morgens schon überlegen, wie der Tag strukturiert ist und die “kreative” Ader bemühen. Kreativität ist nicht Gott gegeben, sie besteht zu 80% auch nur aus Arbeit: Versuchen, scheitern, anpassen.

Bloggen ist mitnichten nur schreiben, es ist Teil eines Konzeptes: Das Produkt, die Dinge drumherum, das Storytelling, die Szenerie. Egal was es ist, ob eine Versicherung, Diarrhö-Kapseln oder Wimperntusche: Dinge sind nicht einfach nur Dinge. An sich schon, aber wenn eine Apotheke ein Schaufenster hat und Werbung betreiben muss, was sich mir einfach nicht erschließt, weil Medikamente nicht beworben werden sollten, dann müssen kluge, zuweilen betrunkene und bekokste Menschen in Agenturen schon MEHR draus machen. Und ich muss das auch, minus Saufen und Koksen.

Meine Zielgruppe ist sehr gebildet, also kann ich die nicht bescheißen oder mit hübschen Bildchen befriedigen. Die wollen was fürs Hirn, und dann erst was fürs Auge. Heile Welt und pseudoreich Lifestyle auf Papas Kreditkarte ist genau das, was keiner mehr sehen will. Und die Verbindung zwischen Luxus, Ästhetik und Weltgeschehen regelmäßig zu ziehen (“Das Private ist politisch!” Noch lauter für die Leute weiter weg!) ist schon herausfordernd. Und dabei muss ich ständig ethische Entscheidungen treffen: Benutze ich Filter, rede ich Dinge schön (LOL – LÜGEN heißt das), nutze ich meine “Gefolgschaft” aus?

Oh, und weil Menschen bestimmte Tätigkeiten nicht verstehen, stelle ich Euch die FAQs zu diesem Berufsbild zusammen. Weiterlesen…

Neustart oder: Erfinde Dich neu

Als ich mit elf mein Zuhause verließ, mit Sack und Pack würde man vielleicht schreiben, aber de facto mit vier Koffern und zwei Kisten für 4 Personen, war es keine Flucht. Es ist nicht vergleichbar mit dem, was sich heutzutage Flüchtlinge antun müssen, um nach Europa zu gelangen. Es war eine legale Ausreise, kurz vor dem Ende des Kalten Kriegs. Mit elf fühlte es sich an wie ein Abenteuer, es sollte ein Neubeginn werden, etwas Schwammiges und Leuchtendes, was in der Zukunft lag und von dem man keine Vorstellung hatte. Ich hatte schon begonnen, Deutsch zu lernen mit einem touristischen Reiseführer, und erinnere mich nur vage an den Abschied von Verwandschaft und Freundinnen. Die Zeit danach war hart, und ich erinnere mich an viele Dinge ungerne. Zuerst war die Angst, als wir im Zug zwischen Budapest und Wien kontrolliert wurden, – ich habe bis heute Angst vor der Polizei. Als zweites war das Licht, das ungeheure Licht, das ein Supermarkt, einfach so hatte. Mit Stromausfällen als Norm aufgewachsen, war ich so geblendet von diesem Licht, ich erinnere mich kaum an meinem ersten Supermarkt Besuch, wo ich das erste Mal in meinem Leben einen Einkaufswagen sah. Auch das ist bis heute geblieben: In meiner Bude muss es hell sein, immer, ich habe für Lampen und Glühbirnen ein Vermögen ausgegeben. Dunkel und gemütlich mag gelegentlich schön sein, die meiste Zeit brauche ich aber Licht und Helligkeit.
Die Zeit danach war… nicht schön. Kann man so subsummieren. Doch als Kind erlebt man diese Dinge anders und kann sie erst später einordnen und es war okay, irgendwie. Bis auf die Angst, Verzweiflung und Demütigung der Eltern, die sich auf einen wohl überträgt, war es wohl okay.

Und so gab es einen Neuanfang, und er war gut. Für mich, einzig für mich von uns vieren, wenn ich so zurück blicke. In der Schule lernte ich mühelos Deutsch, bekam allerdings auch Förderunterricht von einem geduldigen Grundschullehrer – in seiner Freizeit. Ich weiß seinen Namen nicht mehr, aber ich kann hervorragend Eichhörnchen und Schornsteinfeger aussprechen. Das Gymnasium war sehr kurz danach wieder ein Neuanfang, und auch das klappte gut, auch hier hatte ich Hilfe, und übersprang eine Klasse. Wieder ein Neuanfang, diesmal mitten in der Pubertät. Das Wunderkind war oh Wunder, gar keins und so faul wie nix, und so prügelte mich meine beste Freundin durch Chemie und irgendwie auch bis zum Abitur.

Ging es gut? Rhetorische Frage, irgendwie gewährte man (der Schulleiter!) mir das Abitur, für das ich zumindest in einem Fach gelernt hatte, und danach ging es relativ regulär weiter.

Dieses Prolog ist in Wirklichkeit sehr viel länger, er geht etwa 20 Jahre, in denen ich immer wieder neu anfing. Ausbildung, Beruf, Studium, Beruf, Ehe, Kinder. Die Namen der Frauen, die mich dabei unterstützen, habe ich alle parat.
Die Lehrerin, die Dozentinnen, die Chefin, die Anwältin, die Ärztinnen.
Immer wieder fing ich an und baute Dinge auf: Karriere, Familie, all’ diese Dinge, die am Ende des Tages auf dem Programm des Lebens so stehen – vermeintlich. Stehen können.

Dabei war es immer schwierig, mich selbst einzuordnen. Ich war überall dabei, probierte dies und jenes, das Leben als dies&das. Immer wieder wandelbar als Person, gab es eine Konstante: Ich passe hier nicht hin, aber ich habe es mal ausprobiert. Sehr spät habe ich gelernt, dass es Marginalisierung bedeutet, die man erfährt als Randgruppe, auch wenn man sich selbst NICHT als Randgruppe einschätzt. Ich bin eine Frau, eine Emigrantin, ich bin Ostblock, ich bin Ghetto, ich bin überdurchschnittlich gebildet und intelligent. Wäre ich noch schwarz, wäre ich am Arsch (oder sehr erfolgreich, wie meine Namensschwester).

Jeder Neuanfang brachte mir allerdings auch neue Skills, und so lernte ich vom Verkaufen bis hin zu Führung wirklich auf jeder Ebene Dinge, von denen ich heute zehre. Denn ich habe schon wieder neu angefangen, vermutlich an einer Stelle, an der ich schon mal gewesen bin. Und wie ist es denn so, in nicht mehr jungen Alter, wenn man eigentlich alles in trockenen Tüchern hat, wieder bei Null zu starten?
Na. Man startet nicht bei Null!


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