Normschön – wenn mediale Bilder eine verheerende Wirkung haben

Meine Technik funktioniert nicht, ich müsste putzen, und auch sonst ist alles prima, Pandemie hab’ vielen Dank.
Stresslevel? Ich wache mit Kopfweh auf, ich gehe mit Kopfweh schlafen. Anspannung.
Eine Sache macht mir derzeit absolut keine Kopfschmerzen – mein Aussehen. Entweder weil ich keine Zeit dafür habe, oder aber weil ich mit meinem Spiegelbild, bis auf die Augenringe, sehr zufrieden bin. Bin ich in Topform? Nö. Bin ich bis unter den Haarspitzen gepflegt und geschminkt? Nö NEIN nö.

Bin ich normschön? Ja. Ich bin schlank, ich habe keine weißen Haare, ich habe keine Falten, die Augenbrauen modisch, der Haarschnitt passend. Vor 20 Jahren wäre ich definitiv zu dick gewesen, vor 70 Jahren viel zu dürr und unweiblich. Für heute bin ich okay, müsste aber mehr Muskeln haben oder aber sehr dünn sein. Dass ich mich okay finde, macht mich gerade sehr immun gegenüber Konsum: Ich nutze, was ich habe, ich weiß was mir steht, kaufe nichts überflüssiges, und renne hinter keinen Trends nach. Geld gebe ich ausschließlich für Luxus aus. Dass ich normschön bin, macht mir das Leben definitiv leichter, das weiß ich.

DIE NORM. Die Norm ist das, was wir sehen, und sie ändert sich permanent, weil ohne diese Veränderung der Konsum nicht angetrieben werden würde.

Die Norm bei Männern ist ebenfalls entweder sehr schlank, was mittlerweile zu einem eklatanten Wachstum an Essstörungen bei Jungs und Männern führt, oder muskelbepackt, was permanentes Training erfordert. Hier ist ganz klar die Sache mit der Disziplin, der Härte, eben alles was toxische Männlichkeit parat hält, ein kultureller und emotionaler Hintergrund. Die Models, die Schauspieler, die Moderatoren im Kinderfernsehen, die Leute, die wir in den Meiden sehen, außer es sind Politiker, sind entweder schlank oder muskulös. Die paar Ausnahmen bestätigen ironischerweise das Bild.
Auch hier gibt es den DILF und den daddy bod – das sind Sexismen, wie wir Frauen sie auch hinreichend kennen. SO haben wir Gleichstellung aber nicht gemeint.

Die Norm bei Frauen, nun ja, machen wir Instagram an, und gähnen eine Runde – dort gibt es selbst innerhalb deren, die explizit nicht Norm sein wollen, die Norm der “Jugend”. Ab dreißig läuft nix, oder es wird kokettiert damit, dass man schon “so alt” ist und noch so gut aussieht=geliftet ist. Die Norm ist also bei Frauen schon noch etwas härter, erfordert es schließlich einen lebensgefährlichen Eingriff. Hinzu kommt der übliche Kram wie tätowierte Augenbrauen, Extensions/Perücken, künstliche Wimpern etc.

Warum ist das problematisch? Nun, es gibt in der Jugend einfach den Wunsch, dazu zu gehören (seltener sich abzuheben…) und das schafft den Druck, zumindest äußerlich mitzuhalten. Es gibt Cliquen mit bestimmten Stil, bestimmten Merkmalen, es gibt Tussis, Skaterinnen, und Ökos. Menschen wollen dazu gehören und trotzdem sichtbar sein.
Und so kommt es , dann Abweichungen von der Norm bestraft werden, und zwar von der Gruppe, innerhalb derer es eine Gruppendynamik gibt (Anführerinnen, Mitläuferinnen, usw), entweder um den Machterhalt zu sichern oder um dazu zu gehören.
Wer also das Pech hat, der medial kolportierten Normschönheit nicht anzugehören, durch andere Haare, schlechte Haut, Gewichtsklasse, wird ausgeschlossen und wird natürlich alles tun, um doch noch dazu zu gehören. Hungern, Haare glätten bzw. verbrennen, viel Geld für Kleidung oder Fakelashes ausgeben. We all have been there.

Wer nun glaubt, im gehobenen Alter hört das auf: Mitnichten! So werden wir im Dating Alltag mit Kommentaren konfrontiert, im beruflichen Alltag wird das Aussehen kommentiert, sollte es NICHT der Norm entsprechen, die ja vom Umfeld abhängig ist, und jede Person, die ihr Ding durchzieht, wird natürlich durch die Gemeinschaft oder von Einzelnen durch die Gemeinschaft gedeckt, bestraft bzw. gemobbt.

Was ist der Grund für die “Norm”? Ich habe lange darüber nachgedacht und denke, die Norm ist ein Spiegel der aktuellen Zeit, die Werbung ist ja für mich der stärkste Spiegel der aktuellen Zeit ohnehin und wir werden von der permanent präsenten Dauerbefeuerung durch Werbung sehr stark geprägt. Die Norm ist dafür da, uns eine Art Richtlinie im Alltag zu geben, insofern nicht ganz verkehrt – diese Norm aber ist nicht unbedingt richtig. Früher war die Norm, immer und überall zu rauchen und Alkohol zu trinken, und das war keine gute Norm (letzteres ist sogar geblieben…) Normen sind im Alltag ein Werkzeug, um uns zu entlasten.
Was passiert, wenn man abseits der Norm lebt? Und leben wir nicht eigentlich alle abseits der Norm? Es ist ein Trugschluss, einer Norm zu entsprechen, die letztlich nur ein Idealbild ist.

Und so ist der Grund für die Strafe der Gruppe gegenüber denjenigen, die sich dieser Norm offen und sichtbar verweigern, schlicht und einfach die eigene Unzufriedenheit und unausgesprochene, inhärente Einsicht, etwas hinterherzujagen, was nicht erfüllt werden kann. Der Ausschluß aus der Gruppe sorgt dafür, dass die Gruppe weiterhin funktioniert, insofern als dass die Norm nicht in ihrer Richtigkeit angezweifelt werden kann.

Die Konsequenzen für die außerhalb der Norm sind immer ambivalent, zum einen persönliche Freiheit, zum anderen der Verlust einer Peer-Group und die Suche nach einer neuen.

So falle ich mit allen anderen Dingen aus der Norm raus, und hmm, wenn ich so überlege, ich habe sogar eine Peer-Group, die sehr divers ist. Ist es das? Diversität als Norm? Ist das nicht das eigentliche…?!

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