Wie ich rieche – olfaktorische Erinnerungen und Vorstellungen

Gestern kaufte ich im Bio-Laden Demeter-Orangen. Ungespritzt, noch relativ knackig, das Versprechen von… Heimat.
Ich komme nun nicht aus einem land, wo Orangen wachsen. Absolut nicht! In Rumänien, wo ich herkomme, wachsen Walnussbäume, Weintrauben, sowas. Hinter dem eisernen Vorhang gab es vieles nicht, Bananen, Orangen, Ananas, doch eine Kindheitserinnerung habe ich, von Weihnachten und Geschenkbeuteln, in dem jeweils eine einzelne Orange drin war. (Ananas eh nur aus der Dose.)
Diese Orange verhieß für mich alles, die Farbe war unglaublich, und das im Winter! Der Geruch und die seltsame Schale, die man nicht essen konnte und so schön aber auch so bitter war. Und dann der Geschmack, etwas so süßes und saftiges und besonderes. Seitdem bin ich Orangenfan, quasi mit meiner ersten Erinnerung. Orangen machen mich fröhlich und alles an Orangen ist toll, der Duft, die Farbe, der Geschmack.
Noch habe ich keine Orangen vom Baum gepflückt und gegessen, und frage mich in diesem Augenblick: Warum nicht?!

Der perfekte Duft oder das perfekte Parfüm hingegen ist kein Orangenduft. Acqua di Parma hat zum Beispiel einen wirklich hervorragenden und naturgetreuen Orangenduft mit Arancia di Capri. Aber ich will gar nicht eine “echte” Orange noch wirklich eine “echte” Rose, sondern ich will die Idee des Ganzen, die Interpretation des Abbilds. Also eine mehrfach abstrahierte Orange oder Rose oder vielleicht sogar etwas komplett Erdachtes und dann nochmal abstrahiert, die Abbildung der Abbildung sozusagen. Keine Imitation.

So habe ich lange überlegt was meine Lieblingsdüfte sind, und welcher dazu passen könnte. Unangefochten bleibt für mich 24 Faubourg Eau Délicate, den es nicht mehr zu kaufen gibt. Es ist eine Überarbeitung des Originals von Maurice Roucel und seit fast 30 Jahren nunmehr ein Klassiker. Von meinem Lieblingsparfumeur Jean-Claude Ellena überarbeitet, ist der Flanker die Idee des Duftes, aber raffinierter, transparenter und konzeptueller, was bei so einem schweren Duft durchaus schwierig sein kann. Riecht das Parfüm nach… etwas? Nein. Es ist ein Konzept von Opulenz, von der Farbe Weiß (die keine Farbe ist), von Gold und Savoir Vivre.

Ich erinnere mich bestenfalls aus einem Vorleben an Opulenz und Gold, an rauschenden Nächten, an Lilien und weißen Rosen. Wir stellen uns das vor, wir bekommen eine Idee, die ihren Ausdruck finden muss. Und dabei, in ihrer Äußerung, ganz anders wird als zunächst erdacht, so wie Worte sich selbstständig machen beim Schreiben, oder Malerei wie von Zauberhand Gefühle materialisiert.

…wie erinnert man sich an etwas, was man gar nicht kennt?

BYREDO Lil’ Fleur – Storytelling made me buy it


BYREDO ist eine Marketingmaschine. Anders kann ich es nicht nennen.
Und es funktioniert, habe ich einige Byredo Produkte in der Schublade.
Das Konzept? Man nehme einen erfolgreichen Duft und interpretiere ihn neu. Dazu eine schlaue Beschreibung und, ganz wichtig, Verknappung und Preisstabilität. Keine Rabatte!
Der Preis liegt an der Schmerzgrenze der meisten Perfumistas, genug um Luxus zu suggerieren, aber nicht übertrieben viel.

Wie das Storytelling funktioniert, können wir gerne am Beispiel von Lil’ Fleur durchexerzieren.

Der Duft? Ich erwarte, wie der Name sagt, einen klassichen Weiße-Blüten-Monster.
Stattdessen bekomme ich eine Interpretation von Hermès’ Kelly Caleche mit Safran und einem Spin Chanel Chance Eau Tendre in der Kopfnote.

Die Duftnoten ticken alle Checkboxen ab, die gut und besonders klingen:
Safran, schwarze Johannisbeere, Tangerine, Damaszenerrose, Leder, Holz, Ambergris und Vanille.

Das Storytelling wiederum versteht diesen harmonischen, intensiven und zwischen frisch und süß oszillierenden Duft – wait for it – als:

eine komplexe Persönlichkeit wiederzugeben, eine, die wir alle kennen. Meiner Erfahrung nach sind die Persönlichkeiten junger Menschen das schönste und interessanteste, was es gibt.

Ja, es ist creepy und es funktioniert.
Wie alle Byredo Düfte fängt Lil’ Fleur stark an, mit leicht seifiger Anmutung und sehr schöner Rosenkomposition a la Chanel Chance Eau Tendre oder Rose Ikebana oder oder oder, um dann im Nu in einem süßlichen aber zarten und angenehmen “Reispudding mit Vanillezucker in der Holzschale “-Gemisch zu enden.

Originell? Nein. Gut? Ja!
Worth the hype? Auf keinen Fall.
Auf der anderen Seite funktioniert das ja; guter Duft, die Verpackung ist großartig, es fühlt sich zumindest ein wenig luxuriös an, und die 140 Euro sind grad noch so drin.

…und ich muss noch hinzufügen: Selbst die Präsentation im Kaufhaus ist perfekt kuratiert. Clean, hell, absolut reduziert. Besser geht es nicht, wenn es darum geht aufzufallen zwischen den ganzen güldenen Flakons und Tatütata der Mitbewerber.

Der Duft ist vielleicht was für Fans von Dior Addict, Pasha de Cartier, und Safran Troublant von L’Artisan Parfumeur.

BYREDO Pulp Eau de Parfum

Pulp ist ein Duft “on steroids”. Nichts für schwache Gemüter! Das Fruchtfleisch-Grapefruit-Feigen-Gemisch schießt in die Nase wie Tränen in den Augen – unvermittelt und mit BUMM.

Während Düfte wie Jardin en Mediterranée einen Spaziergang am Mittelmeer evozieren, rast Pulp mit einem rostigen Traktor mit durchgeschnittenen Bremskabeln den Hang runter. Nimmt alles mit, Obst, Blätter, Zweige. Es ist laut, es ist langanhaltend, und es ist super obstig.
Die offiziellen Duftnoten sind:
Kopfnote: Bergamotte, Schwarze Johannisberre, Kardamom
Herznote: Feige, Roter Apfel, Tiare
Basisnote: Zedernholz, Pfirsichblüte, Praline

Nun, bis auf die Feige ist das alles nicht wirklich wahrnehmbar, die marmeladige Süße des Duftes ist matschig, klebrig, aber auch frisch. Keine Sekunde wird der Duft wirklich süß, er bleibt immer herb, dank den schwarzen Johannisbeeren. Ja, doch, die riecht man tatsächlich heraus, ich esse die unheimlich gerne als Marmelade. Der ganze Duft riecht wie ein Süßwarenladen, aber sehr erwachsen, vielleicht mehr wie eine gut ausgestattete Coktail-Bar. Meine Tochter findet den Duft spitze, sie ist allerdings auch sehr versessen auf Gummibärchen. Auch Byredo Blanche findet sie gut, also ist es entweder ihr guter Geschmack oder das Parfumhaus trifft ihren Nerv.

Die Haltbarkeit ist hervorragend bis penetrant, hier gilt: Viel Geld für viel Duft.

Wer also auf Feigendüfte steht, grundsätzlich auf fruchtige Sachen, sollte den testen und sich ein wenig Zeit beim Testen lassen.

Lustigerweise brachte BYREDO gerade eine blaue Flasche raus mit einem Duft, der BYREDO x Cactus Jack Space Rage Travx heißt. Er soll vom Weltraum inspiriert sein und duftet nach: kosmischem Staub, Antimateriepartikeln, Sternenlicht, dem Duft einer Supernova, atmosphärischem Dunst und dunklen Nebeln (Quelle: Fragrantica) und auch dort lese ich, dass es in Wirklichkeit der Duft Pulp sei, komplett anders verpackt und beschrieben, wodurch der Rezensent andere Nuancen am Duft entdeckt hat. Deswegen lese ich den Kram immer erst hinterher..!

Also, dieser Duft hat Jahre gebraucht bis er in meine Sammlung fand, ich bekam ihn geschenkt und habe mich darüber immens gefreut. Lustigerweise bin ich bei Parfums nie eine spontane Käuferin, es braucht Jahre, bis ich mich durchringe, etwas anzuschaffen und meist mehrere Anläufe. Wenn mir ein Duft nach Jahren noch in positiver Erinnerung bleibt, dann kaufe ich ihn. Der nächste wird Equistrius sein, das weiß ich jetzt schon, weil ich mehrere Proben hatte und den toll fand, und immer noch dran denke. Nur dass er jetzt doppelt so teuer geworden ist, meh.

HERMÈS Eau de Pamplemousse Rose Cologne

Es ist Winter, die Jahreszeit für Zitrusfrüchte. Und regelmäßig kaufe ich eine pinke Grapefruit, um mich regelmäßig daran zu erinnern dass ich den Duft nur mag, aber mir das Zeug zu bitter ist und das auf den Kreislauf geht (es wirkt wohl blutdrucksenkend).

Den Duft habe ich aus einer Laune heraus bestellt obwohl ich mich nur wage erinnern konnte, den mal gerochen und eventuell gemocht zu haben. Aber der Name des Parfumeurs und der Name des Duftes geben für mich fast schon eine Garantie ab. Ich liebe Grapefruit Düfte und ich habe etliche unter der Nase gehabt, aber gekauft habe ich bislang nur Chanel Deauville (weil Chanel und weil günstiger geschossen…) und die guten und günstigen Guerlains habe ich stets stehen lassen.

Der Duft ist rosa, ist grün, ist holzig. Zitronig und herb, mit der typischen Note von Cologne, ein Hauch von Bitternis und Maskulinität, gepaart mit dem Duft gelber und weißer Rosen. Hier finden sich Referenzen an Eau de Campagne von Sisley und an Bergamot von The Dfferent Company. Hinzugefügt wurde die typische Grapefruit Note, die man bekommt wenn man das Obst schält und das pinke Fruchtfleisch herausnimmt. Dabei ist die Textur des Duftes rauh und unflexibel. Da kommt wirkich genau das, was in der Beschreibung steht: Grapefruit, Citrus, Cologne, Holz. Punkt.

Um die Haltbarkeit zu verlängern, kann man sich kräftig einsprühen, gerade auf Kleidung bleibt der Duft lange bestehen. Ich finde die Haltbarkeit sogar ziemlich gut, eine Duftwolke kommt immer wieder auf, – der Duft ist einfach nicht so penetrant um einen herum wie es viele gewöhnt sind.

Was ich mir in dieser Duftrichtung wünschen würde, wäre auf alle Fälle ein schönes Duschgel und Shampoo. Das gibt es aus der Serie Eau de Orange Verte, ist aber sehr herb und maskulin. Und die Qualität, na ja. Also – wenn ich Kosmetik herausbringe, dann etwas geil beduftetes, was die Haut nicht reizt und bezahlbar ist. Duschgel, Zuckertenside, nice Duftmischung. Falls es das schon gibt, sagt es mir bitte, ich habe es scheinbar verpasst.

CHANEL Chance Eau Tendre Eau de Parfum

Rosen! Apfel! Zitrönchen! (EDIT: Angeblich auch Jasmin. Hmpf.)

Harte Fakten: 92 Euro für 50ml als Strassenpreis. Ey, sorry, dafür kaufe ich mir doch direkt das Extrait?!

Ein Duftwässerchen, herrlich jung, frisch, spritzig und vielleicht auch etwas kanten- und aussagelos. Aber, gemach – es ist und bleibt ein Chanel und damit ist die Rose rein und umflirrt von blauem Himmel und Sonnenschein, der Apfel grün und saftig, ohne künstlich zu sein, und die Grundnoten von “sauber” sind nicht seifig, sondern hautfreundlich “Neutralwaschgel” und auch sonst generell eher Richtung sonnenbeschienene, zarte weiche Haut.
Man muss dazu sagen, dass Chanel selbst auf der Homepage keine Beschreibung hat – das sagt einiges… Jasmin und Rose. Schnarch!

Warum ich diesen Duft so exzessiv verbraucht habe? Er ist frisch, aufmunternd und völlig harmlos, gefällig und sportlich. Gerade die miese Haltbarkeit lässt den Duft transparent erscheinen und man kann ihn nicht überdosieren; wie ein Hauch Frische läßt er sich tagüber nochmal aufsprühen und macht gute Laune. Wie ein weißes T-Shirt irgendwie. Ein Office-Duft, möchte frau munkeln, wobei ich meine exzessive Office-Beduftung mit Chanel mittlerweile als Office-Policy ausgerufen habe. Es herrscht Chanel-Pflicht am Arbeitsplatz und meine Kollegin hält sich eisern dran, wobei sie den Lippenstift noch verweigert, aber wir arbeiten daran.

Es ist auch der Duft einer lieben Freundin, an die ich immer denken muss, die sehr viel jünger und in vielen Dingen sehr viel klüger ist als ich. *wink*

Der Duft ist also eine tolle Empfehlung für den Winter als Vorfreude auf den nächsten Sommer, als Geschenk für alle Teenager (im Herzen!!) und definitiv immer eine schöne Idee. Ich möchte gerne Chance als Extrait, da ich ja zarte Rosendüfte liebe.