ADHS Test und Diagnose und meine Symptome als mittlerweile mittelalte Frau

Als ich meine Kolumne Brainfuck, also Hirnfick, taufte, war mir gar nicht klar, dass es dafür bereits einen Namen gibt. ADHS ist keine neumodische Erscheinung, aber wie für so viele Betroffene mittelalte Menschen, die einigermaßen erfolgreich durchs Leben kamen, war es nie ein Problem. Bis es zu einem wurde. Mir hat man immer gesagt, ich sei ein wenig “verrückt”. Das kam immer mit einem Lächeln und Wohlwollen, denn ich bin ja eine nette Verrückte. Laut und lebendig, too much und zu expressiv für meine Umgebung. Klingt nicht schlimm, oder? Aber es schien für meine Umgebung schlimm zu sein, denn ich wurde oft gemobbt oder ausgeschlossen, etwas, was neurodiverse Mneschen leider alle kennen, denn ich war halt “anders”. Symptome? Ja. Verkannt? Auch ja.

Deswegen zäune ich jetzt mal das Pferd von hinten auf, denn ganz ehrlich, die Symptome dafür sind bei mir so wie bei allen anderen, obwohl es keine zwei ADHS Menschen gibt, die gleich sind. Vorweg: Wer ADHS hat, hat auch andere Dinge, sogenannte Komorbiditäten, die leider ADHS als Ursache verdecken. Frauen haben zusätzlich Hormone und eine Medizingeschichte, die sie exkludiert obendrauf, weshalb sie seltener bis gar nicht diagnostiziert werden-bis sie Kinder bekommen, diese dann ganz klar im Spektrum sind und frau sehen muss, dass es sich dabei um Vererbung handelt. I don’t make the facts.
Zum Thema Neurodiversität, Elternschaft und Kinder schreibe ich noch getrennt, denn das ist echt sehr spannend – Euphemismus für beschissen LOL und sehr aufschlußreich!

Zudem ist ADHS zwar als Schwanzträger-Krankheit verschrien aka Zappelphilipp-Syndrom, jedoch mitnichten nur bei diesen anzutreffen. Und nein, nicht alle Frauen sind ” nach innen gekehrt und träumerisch” wenn sie ADHS haben, es gibt auch diejenigen, die genauso Zappelphilipp-mäßig unterwegs sind. Mädchen und Frauen werden bloß wesentlich schneller gemäßigt und gerügt, weshalb sie lernen, ihre Art und Weise zu ein zu verstecken. Nennt sich maskieren und wandelt sich in “people pleasing” ab.

Ich habe natürlich schon immer ADHS gehabt, aber ich hatte auch immer (fast) alles im Griff. Als ich dann in Richtung Perimenopause marschierte, begleitet von einer fetten Boreout/Burnout Kiste, kam es zum Showdown und retrospektiv kristallisieren sich die Symptome aus dem Wust der Geschehnisse heraus.
Ich bin überdurchschnittlich intelligent, langweile mich schnell, bin unruhig und unkonzentriert. Ebenso brauche ich Struktur und einen roten Faden, Prioritäten und Durchhaltevermögen bei Aufgaben. Der Witz ist: Ich bin richtig gut darin – wenn ich nicht gerade einen schlechten Tag habe.

Meine persönliche Liste an “speziell sein” aka Symptomatik ist ohne Gewichtung und nicht vollständig…:
Ich esse immer das gleiche, über Tage oder Wochen, bis es nicht mehr kickt, dann finde ich etwas Neues. Essen ist überhaupt gestört, da ich zu Zeiten von Diätwahn und Heroin Chic großgeworden bin. Essstörungen und Neurodiversität habe ich eh eigene Ansichten zu… Ich bin ambidextrisch. Ich höre immer alle Gespräche im Hintergrund oder Musik oder Radio, ist die Dunstabzugshaube an, kann ich nichts abschmecken. Ich kann sehr schnell lesen. In meinem Kopf findet immer ein oder mehrere Gespräche statt und es läuft ein Lied in Dauerschleife. Ich höre zudem immer die gleiche Musik über Monate und Jahre. Filme gucken kann ich nicht, weil ich mir absolut alles darin merke, und sie mich entsprechend aufwühlen – oder aber ich vergesse sofort alles. Gesprochene Texte kann ich nicht aufnehmen – bin ich daran nicht beteiligt, ist meine Aufmerksamkeit nach zwei Minuten weg. Podcast? Ohne mich. Dinge wie duschen und Zähne putzen geschehen nicht automatisch, sondern sind geplant. Ich brauche Ruhe zum Denken und arbeiten und Einsamkeit. Ich brauche aber auch Menschen, Konversation und Austausch, bin lustigerweise ein Teamplayer, wenn ich dafür meinen Ausgleich als Eremitin habe. Ich bin hypermobil und ich wippe immer mit dem Fuß, mache Dinge mit dem Mund, Zunge, Fingern, was auch immer nicht so dolle auffällt, aber ich bin immer in Bewegung. Nennt sich “stimming”, manche singen, fummeln an den Haaren oder kauen Nägel (habe ich erfolgreich abgelegt!). Ich kann besonders gut riechen, schmecken und sehen und bin taktil sehr empfindlich. Bestimmte Texturen sind ein Alptraum, Schilder an Kleidung halte ich für ein Verbrechen und Polyacryl würde ich sofort verbieten. Ich bin super ordentlich und perfektionistisch, habe aber gleichzeitig einzelne Schubläden, die Pandoras Büchse ähneln. Verlieren oder verlegen tue ich nie etwas, dafür muss ich ständig meinen Schmuck oder Papierkram suchen – ja, nur diese beiden Sachen! bei allen anderen Dingen habe ich ein Katalog im Kopf… Ich bin unglaublich kreativ und sehe das große Bild. Ich laufe überall gegen. Ich finde Ungerechtigkeit ganz schlimm. Mich kann man nicht anlügen, ich merke es sofort, ich lüge auch nie. Termine und Aufgaben erzeugen bei mir Druck und Unwillen, wenn sie für mich keinen Sinn machen. Ich bin absolut ergebnisorientiert und hasse Meetings, die darauf aus sind, Zeit totzuschlagen. Ich bin absolut minimalistisch, horte dafür, je nach aktuellem Hobby, alles was es dazu gibt. Bei Notfällen bin ich absolut klar und gerate nicht in Panik. In Panik gerate ich eher, wenn ich etwas von einer Speisekarte auswählen soll. Ich kleckere immer und trinken mag ich eigentlich nur aus der Flasche. Dinge müssen zusammen passen. Bekomme ich eine Absage, denke ich dass die Person mich hasst. Mein Selbstwert ist super, oder einfach nicht da. Ich kann absolut frei sprechen und eine Rede halten, Fernsehen, UNO, egal, soll ich aber Smalltalk betreiben, sterbe ich. Wenn mich ein Thema interessiert, lese ich alles dazu. Sagt mir meine Freundin ab, denke ich, sie hasst mich-nennt sich RSD, rejection sensitivity dysphoria, was übrigens durch Therapie besser werde kann. Ich bin “time blind”-wieviel Zeit vergangen ist, kann ich nicht sagen, weshalb ich mit Weckern arbeiten muss. Essen und Trinken können vergessen werden, wenn man gerade konzentriert und begeistert etwas macht. Ob nun zwei Minuten oder eine Stunde vergangen ist-ich weiß es nicht, weshalb ich zum Zähne putzen immer eine Uhr brauche. Ich rede zu viel, erzähle zu viel persönliches (LOL @ mein Blog!) und ich antizipiere was mein ggü. sagen will, weshalb ich Mühe habe, selbiges Gegenüber nicht zu unterbrechen. Angeblich höre ich nicht zu, aber meistens vergesse ich Dinge einfach wieder sofort-Schriftliches und Kalender wirken da Wunder. Mein PMS ist nicht einfach nur schlechte Haut oder schlechte Laune, sondern sehr viel intensiver. Ich bin perfektionistisch (gewesen) und brauchte für Dinge deswegen zu lange. Ich habe ein Helferinnenkomplex und versuche immer nett zu Leuten zu sein aka people pleasing. Ich bin immer toll, zuverlässig, pünktlich, committed, loyal, blablabla aber gab da auch zu viel, eine Sache, die ich abgestellt habe. Ich bin empathisch wie Sau, kann aber auf Meta-Ebene arbeiten, einigermaßen die eigene Projektion durchschauen/abstellen und Leute therapieren. Ich will Dinge wissen und verstehen. Lernen ist mein Leitmotiv. Menschen sind für mich total interessant. Spezielle Interessen habe ich wenige, dafür sehr konstant. Tbc.

Alles in allem habe ich bei 90% der Dinge alles im Griff dank Disziplin, Therapie und Abgrenzung. Aber: Es ist alles sehr anstrengend. Das Dopamin, das in unserem Gehirn fehlt, muss außerdem reingeholt werden, und zwar nach Möglichkeit auf gesunde Art und Weise. Also nicht durch Essen(sentzug), Drogen, Alkohol, Nikotin oder Sucht allgemein, ob Sport oder Shopping. Dafür gibt es übrigens Medikamente, die aber ohne Therapie nicht so wahnsinnig nachhaltig sind. Erleichtern sie das Leben? Ja. Massiv sogar – aber sie stehen eben auch unter dem Betäubungsmittelgesetz. Deshalb muss man getestet werden und diagnostiziert werden, um sich dann unter entsprechender ärztlicher Aufsicht mit dem Kram zu stabilisieren. Stand ich dem skeptisch gegenüber? Sowas von! Habe ich es illegal ausprobiert und mich strafbar gemacht? Selbstverständlich! Bin ich nun dafür, ein Mittelding zu fahren und würde ich es meinen Kindern auch geben? Hundert Prozent.

Die Diagnostik muss beim zugelassenen Arzt erfolgen, in der Regel eine Psychiater*in. Es gibt standardisierte Tests und mindestens zwei Gespräche, ein EEG und ein paar weitere physische Untersuchungen. Die Krankenkasse bezahlt das nicht, und man braucht dafür auch keine Überweisung. Wie so oft ist Wissen und Geld leider Voraussetzung für gute Gesundheit. Ich war für die Diagnose in Hildesheim, Gesundheitstourismus sozusagen. Das Ergebnis war sehr eindeutig.
Übrigens sollte der Test keine 600-800 Euro kosten, das ist Abzocke. Und bitte nicht bei selbsternannten Coaches und Apothekerinnen machen, damit kann mensch sich zumindest hinsichtlich Medikation den Ellenbogen abwischen. Der Grund warum Ärzte das nicht machen, ist übrigens die Bezahlung der Krankenkassen (außer bei PKV), denn es ist zeitaufwendig, die Bögen sind teuer und es wird dafür kaum etwas bezahlt. Für eine Autismus Diagnose, die mit einem Behinderungsgrad eingehen kann und entsprechend interessant ist, muss man mehrere Monate einrechnen und auch da muss es ein Psychiater sein bzw. eines der multidisziplinären Zentren. Der Unterschied? ADHS kann medikamentös behandelt werden, Autismus nicht. Wer beides hat, schreit Hurra, kann dafür einen Behinderungsgrad erwerben, und sich damit den Hintern abwischen, denn wer hochfunktional autistisch ist, funktioniert nun mal.

Denn es ist so, dass ADHS ein Spektrum ist und es verschiedene Ausprägungen gibt. Ich bin im Autismus-Spektrum, was sich widersprüchlich zum ADHS verhält. Das ist allerdings aber auch der Grund, warum ich ADHS untypische Dinge wie Organisation und Struktur und Alltagsscheisse einigermaßen auf Kette bekomme. Meine Herausforderungen im Alltag sind durch Therapie und einem komplett umgekrempelten Lebenswandel so gut wie weg. Aber es bleibt anstrengend, was sich dann aber mit Medikamente regulieren lässt. Eine irre Sache, wenn man bedenkt, dass mir diese Hilfe bislang komplett entgangen ist. Mittelalter für uns Frauen medizinisch betrachtet – kennen alle, die typische Frauenkrankheiten haben oder Gott bewahre, die einfach alt genug werden um eine Menopause durchzumachen!

Zum perfekt angepassten Lebenswandel zählen:
Ausreichend Schlaf, was ich im Angestelltenverhältnis mir nicht ermöglichen könnte, da es wenig Jobs gibt, wo man um 11 aufschlagen kann oder nachts arbeitet. Eine gesunde Ernährung, die an meinen Allergien angepasst ist, was am besten zu Hause gelingt oder mit Mealprep, zu Zeiten, an denen ich Hunger habe (11 Uhr und 16Uhr). Die Tätigkeiten werden nach Energielevel und Bock priorisiert und entsprechend sehr effizient erledigt. Nein sagen zu anderen und Ja zu mir ist immer noch hart, führt aber dazu, dass es mir konsistent gut geht. Diese Dinge sind mit dem kapitalistischen System unvereinbar, wenn wir mal ehrlich sind, deshalb ist die große Erkenntnis im Falle von Neurodiversität, die ja gar nicht so selten vorkommt, eine einfache:

Neurodiversität ist nur ein Problem, wenn Du arm und/oder ungebildet bist.

#micdrop

Fragen dazu? Schreibt mir.

Das erste Mal: Mutter allein’ zuhaus’! – Edited

EDIT Mai 2023:

Nun habe ich mir vorgenommen, alte Beiträge zu nehmen und ein Update dazu zu schreiben. Zufällige Auswahl. Ein Blog ist ja nicht unbedingt ein Tagebuch, obwohl es draus entstanden ist, sondern etwas was sich primär dadurch von reinem Publizistentum unterscheidet, dass man es kommentieren kann. Sonst kann man einfach eine Zeitung rausbringen… und wenn heute Zeitungen Kommentare zulassen, nur aus dem rein technischen Grund, dass dadurch die Reichweite erhöht wird. Ist hier nicht anders, allerdings habe ich tatsächlich Interesse am Austausch mit anderen, wenn diese auch zunehmend auf anderen Plattformen geschieht: Twitter und Instagram, wo mich die meisten Kommentare zum Blog mittlerweile per DM erreichen, ist halt schneller.

Ganze acht Jahre ist der Beitrag jetzt her – and little did I know! Weiterlesen…

Das erste Mal: Viral gehen

Das Internet und Social Media sind kein Mysterium und auch nicht böse. Das Problem damit ist wie bei allen Medien: Wer schreibt was und warum, und habe ich die Zeit das zu überprüfen?
Ehrlich gesagt ist das aber gerade in Social Media ein Segen, denn dort kann man viel besser Quellen recherchieren und auch auf das Feedback der anderen Nutzer*innen hoffen. Auch Expert*innen tummeln sich gerne im Internet, und das nicht unbedingt wegen ihrer Expertise, sondern wegen Hobbys und aus Unterhaltung.
Und so kam es, dass meine aus der Hüfte heraus getwitterten rhetorischen Frage “Wusstet ihr, dass es eine Impfung gegen Scheidenpilz gibt und auch gegen Blasenentzündung? Und dass diese üblen schmerzhaften Sachen, die sehr häufig Frauen(!!) betreffen, natürlich NICHT von den Krankenkassen bezahlt werden?”mit über 3.600 Likes viral ging, – zumindest für deutschsprachige Verhältnisse kann man das als “viral” bezeichnen.

Ich tat, was eine frau tun muss: Ich moderierte alle Antworten und verwies auf andere Quellen, tröstete und fluchte mit. Die drei männlichen Trolle verwies ich sehr hart und sehr unhöflich mit einem “Fick dich” in ihre Grenzen, was sofort für Ruhe sorgte.

Und so habe ich einiges gelernt bzw. es selbst “gefühlt”, was ich schon wusste über #HateSpeech, über misogyne #Trolle und über Quellenüberprüfungen.

#HateSpeech kommt leider überwiegend von Männern. Liegt es daran, dass ich als Frau dafür sensibilisiert bin? Bin ich eine bessere Zielscheibe? Liegt es daran, dass Männer™ sich für die Instanz schlechthin halten ODER sie so toxisch und fragile Egos haben, dass sie erstmal alles niederdreschen müssen, statt zu hinterfragen und zu lernen? We shall never know – wir werden es nie wissen. Es ist auch egal, es passiert viel zu häufig und man muss dem Einhalt gebieten.

Wie stoppt man das? Je nach Menge der Trolle ist es mit harten Bandagen am besten. Ich beschimpfe die Leute richtig hart, beleidige sie sogar, mit unverhohlener Aggression. Das sorgt dafür, dass sie häufig schon weg sind. Wer da noch diskutiert, braucht Aufmerksamkeit, die dann natürlich entzogen wird. Blocken und ignorieren ist dann der nächste Schritt. Warum ich diese hässliche Taktik wähle mit der Beschimpfung? Das ist vielleicht keine moralisch überlegene Sache, aber ich bin nicht moralisch überlegen und so habe ich folgende Vorteile: Die Interaktion verschafft mir NOCH MEHR Reichweite. Das ist ein rationaler Grund. Dann betreibe ich persönliche, mentale Hygiene und lasse meine Wut raus, so wie die anderen™ das auch tun. Sich zu wehren ist für Frauen nicht vorgesehen, wir sollen ja höflich bleiben. Nicht mit mir, nicht ich. If they go low, I go lower. Sorry Michelle Obama, die das Gegenteil gesagt hat.

Die #Trolle waren alle Männer, bis auf eine! Frau, die sich mit einem Industrielösungsmittel selbst geheilt hat. Ja, so habe ich auch geguckt. Ergo die absolute Quacksalber Ecke. Die Beleidigungen waren allesamt persönlich, was natürlich ein hartes Fell benötigt. Hat frau nach 20 Jahren im Internet nicht, ich zumindest nicht, denn ich werde sonst nie beleidigt. Warum? Meine Zielgruppe ist weiblich und die ist eben zwar auch mal frauenfeindlich (im Sinne internalisierter Misogynie), aber natürlich kein Vergleich mit einem Mann™. So bekam ich mein Fett auch gut ab, nahm es jedoch insofern locker, als das es mich auf neue Ideen brachte, die ich demnächst mal verarbeite.

Quellenüberprüfung ist natürlich bei den vielen Antworten so eine Sache. Einige Diskussionen brachten die Quellen gar mit, da musste ich auch nur nachlesen. Einige Ärzt*innen waren sowieso öffentlich unterwegs, und der eine oder andere Arzt(sic!) gab seinen positiven Senf ebenfalls dazu. Einwände gab es von einem seltsamen Account, der sich als transfeindlich erwies, und trotz Bitte um Quellen nie wieder was von sich gab. Angeblich eine Wissenschaftlerin, aber Wissenschaftlerinnen reagieren anders, wenn man sie um Quellen bittet: Sie sind sofort mit hundert Sachen dabei und vertrösten nicht auf später. Denn es ist schließlich ihr Ding, verständlich dass frau da erstmal ordentlich was zu erzählen hat!! Ansonsten gab es sehr viele Erfahrungsberichte, und das wird zwar immer gerne abgetan von, ratet mal…, genau, von Männern™, aber seit jeher ist das für mich ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass es keine zufällige Sache sein kann. Ockham und so. Ab fünf Frauen, die Rückmeldung geben, ist es schon interessant, genauer hinzuhören und gegebenenfalls weiter zu recherchieren. Das gilt für Cremes genauso wie für Dinge wie Nebenwirkungen nach dem Absetzen der Pille.

Mein Fazit aus dem Ganzen: Ich bin froh, dass es eine wichtige Information war, die viral gegangen ist, und kein Wortwitz oder etwas anderes. Denn dafür nutze ich das Internet am Meisten: Um mir Wissen anzueignen.
Ansonsten muss ich sagen, dass es mich gelangweilt hat, denn ich bin schon zu lange Teil des Ganzen. Die ach so krassen und komplexen Dinge des Internets bzw. des WWW, um die so ein Bohei gemacht wird, sind alle strukturell gleich geblieben. Und mit “gleich” meine ich gleich beschissen, wenn nicht sogar schlimmer, dafür aber transparent schlimmer, wenn man sich damit befasst.

…und genau da lauert die Gefahr von Social Media: Es ist eine “commodity” geworden, eine Ware, die man bequem konsumiert, und man guckt sich die ersten 3 Suchergebnisse an und mehr nicht, hinterfragt nix, und bemüht sich nicht um Zusammenhänge. In diesem Fall kann man es allerdings nicht auf das Medium schieben, das ist so, als würde ich dem Papier einer Zeitung die Schuld für die Inhalte geben. Noch besser, dem Baum. Sorry. Wir sind das WWW.

Ein Tweet mit folgendem Inhalt. Wusstet ihr, dass es eine Impfung gegen Scheidenpilz gibt und auch gegen Blasenentzündung? Und dass diese üblen schmerzhaften Sachen, die sehr häufig Frauen(!!) betreffen, natürlich NICHT von den Krankenkassen bezahlt werden?


Wertschätzung zeigen:
P A Y P A L ❤️ M E

Cremst Du noch oder spritzt Du schon?

Zum ersten Mal seit Äonen habe ich wieder eine Hautpflege gefunden, die funktioniert und maximal wirkt: In meinem Fall tut sie ganz viele Dinge nicht, und jedeR mit sensibler Haut sollte da aufhorchen. Bericht folgt.
Und so hat frau wieder Lust auf Make-up, sieht natürlich auf gepflegter Haut auch besser aus, aber sind wir ehrlich: Die nächste Stufe wäre jetzt Botox, Filler und demnächst ein Lifting.

Regelmäßig bekomme ich Bilder und Videos von echt guten Make-up Artists von meinen Leserinnen zugesendet, und während ich schaue und staune, muss ich feststellen, dass die Gesichter nicht nur fantastisch hübsch, sondern auch sehr jung sind, und die nicht wirklich repräsentativen 2% der Personen Ü 40 stattdessen arg zurecht gestrafft.

Und? Ich beobachte mich selbst und meine Reaktion: Statt endlich happy zu sein, gute und gesunde Haut zu haben, denke ich über die Optimierung meines Gesichts nach, das sich durch die Schwerkraft etwas gelittenverändert hat. Also nix mehr mit Cremen und Konturieren, nein, jetzt heißt es Marionetten-Falten, Schildkröten-Hals und Schlupflider. Was versteckt sich dahinter? Abgesehen von der Sprache, die uns selbst schlecht macht – würde man so mit jemand anderen reden?! habe ich Angst vor…

Angst. Und da haben wir es: Angst verkauft einem alles. Angst ist das Gefühl der Stunde, wenn wir ehrlich sind, und das sogar zurecht. Aber angesichts von wirklich ernsthaften Problemen, die wir global bewältigen müssen, trotz unserer Luxusposition in einem führenden Industriestaat (wie lange noch führend lol) ist die Angst über eine weitere Linie auf der Stirn fast schon wohltuend.
Wird es ausgenutzt? Natürlich!

Angst verkauft Botox und Filler, nicht nur Cremes, der Markt der invasiven kosmetischen Eingriffe boomt, einfach mal eine Google-Suche für die nächstgrößere Stadt versuchen.

Angst, Unsicherheit und Ohnmacht, gerade angesichts des Krieges, lässt uns also überkompensieren. Es wird nicht mehr gecremt, denn das hat einfach sehr schnell seine Grenze erreicht, es wird diskret gebotoxt. Und was soll’s, alle tun es, es soll sogar vorbeugend wirken. Wenn man ehrlich ist, sind die Preise für eine große, teure Pflegeserie und ein Jahr Botox nicht so weit auseinander.
Angst vor… Angst davor, das einzige zu verlieren, was uns das Patriarchat genehmigt: Gutes Aussehen. Denn das ist alles, wonach wir primär beurteilt werden. Oder? (Disclaimer: Ist es nicht, aber es ist ein wichtiger Teil, deswegen mache ich das mit dem Styling, machen wir uns nichts vor, gutes Aussehen kann was.)

Und es ist ein zweischneidiges Schwert: Sind wir ehrlich, haben es gut aussehende Menschen im Leben leichter (Studien und so). Und warum nicht exakt das instrumentalisieren? Die Frage ist bloß, wo mensch die Grenze zieht.
Zieht man sie VOR oder NACH einer Vollnarkose?

Ich persönlich habe auch Angst, ganz klar. Angst vor dem Krieg und Angst vor der Vollnarkose. Darüber hinaus habe ich jedoch eine andere Angst, die mich unterbewusst mehr beschäftigt. Während unsereiner zumindest eine Zeitlang ein echt geiles Leben hatte, auf Kosten der nachfolgenden Generation, so wie alle anderen Generationen vor uns, können wir uns nicht mehr unwissend stellen, wenn es darum geht, dass die Menschheit sich an die Wand fährt, Vollgas und bei vollem Bewußtsein. Die Dinosaurier sind ausgestorben, aber die haben es vermutlich nicht verursacht. Wir tun es schon. Und aus diesem großen globalen Ding skaliere ich gaaanz dolle in meinem Mikrokosmos runter und frage:

Wie spreche ich über Schönheit und Aussehen mit meinen Kindern?
Möchte ich, dass meine Tochter mit 16 auf eine neue Nase spart?
Möchte ich, dass mein Sohn eine Eßstörung bekommt?
Möchte ich, dass statt passende Hose und Pulli ein passender ästhetischer Chirurg wichtig ist?

So gilt in meinem Haus:
1. Eincremen ist wichtig bei trockener Haut, und im Sommer wegen Sonnenschutz.
2. Das physische Aussehen von Leuten wird nicht kommentiert. Kleidung kann man wechseln, man darf beispielsweise sagen dass Schwarz scheiße ist (höre ich oft LOL).
3. Es werden Dinge thematisiert, die ich noch als Tabu kennengelernt habe, ob Körperdysmorphie oder Eßstörung. Benennen heißt aufklären und sensibilisieren.

Ich ziehe eine Linie. Und ja, es ist nachhaltig, weil Schönheit ein sehr dehnbarer Begriff ist und letzten Endes die Frage lautet, was man damit macht und zu welchem Zwecke mensch es nutzt. Schönheit und Sichtbarkeit sind Werkzeuge, da gibt es keinen höheren Sinn.

Eincremen ja, spritzen als Statement nicht (vermutlich werde ich es mal heimlich machen, wer weiß). Hier, ein Insta-Filter-Fake-Foto: