Der kollektive Burnout 2022
Keine Ahnung welches Jahr, welches Datum, welcher Lockdown, aber ich erinnere mich an die Worte meiner Psychologin, die sagte, wir wären jetzt alle in einem kollektiven Retreat und würden mal runterfahren. JA. Dem war so, allerdings nicht lange genug, und dann wurde wieder alles hochgefahren und es wurde und wird gestorben und auch geimpft, aber: Der Versuch, alles so weiter laufen zu lassen wie gehabt, ist gescheitert.
Des Deutschen liebstes Ding ist: DAS HABEN WIR SCHON IMMER SO GEMACHT. Es herrscht eine lähmende Angst vor Veränderung, vor Wegbrechen der Machtstrukturen einerseits, vor Aufgabe von Komfortzonen andererseits. So haben wir uns kollektiv in das erwartbare und vorhersehbare reingeritten: Das Ende der Kräfte.
Wenn mir die total gechillte Mutter schon sagt, sie würde nur noch funktionieren und wüsste eigentlich auch nicht mehr was und wie sie es tut, während ich schon so durch bin, dass ich in einem merkwürdigen Ruhestadium verfalle statt zu überkompensieren, wenn absolut jede:r, ob mit Traumjob, mit oder ohne Kindern, wohlhabend oder nicht, sagt, sie/er könne nicht mehr – dann… ja, was dann?
Der Burnout der Unternehmen ist prozessbedingt, da hängen Menschen und Strukturen der Digitalisierung nach, nicht weil sie es nicht können und wollen, sondern weil Technokraten – Technologen sind die guten, da würde ich mich auch zu zählen! – keine Rücksicht auf menschliche Bedürfnisse nehmen, die durchaus mit Technologie besser bedient werden könnten.
Der Burnout der ELtern ist mit einem Wort erklärt: Durchseuchung.
Der Burnout aller anderen ist natürlich der Pandemie geschuldet – man solle bitte das Hamsterrad weiter antreiben, nur dass man statt Rädern kleine Dreiecke eingebaut bekommen hat. Die Kompensation eines idiotischen Systems gelingt nicht mehr, nicht mehr mit Urlaub (nicht möglich), nicht mehr mit Chanel Handtasche (wohin ausführen?!) und nicht mehr mit sozialem Kitt, der uns bislang gerettet hat, weil der schlichtweg schwierig geworden ist. In der “jeder ist sich selbst der Nächste” Version der Pandemie, in der wir uns schon lange befinden, ist es müßig, irgendeinen Kraftaufwand für andere zu betreiben – und doch gibt es immer wieder kleine Funken der Hoffnung und Solidarität.
Allerdings sind wir immer noch mitten in der Pandemie und wir müssen uns ernsthaft fragen, wie es passieren konnte, dass wir täglich unsere Toten zählen (trotz Impfung und einer der besten Infrastrukturen der Welt) und eine Durchseuchung der Kinder und damit unzählige chronisch Schwerkranke in Kauf nehmen. Auch darauf hat jede:r seine persönliche Antwort nehme ich an, und ich fürchte, meiner werden sich viele anschließen: Eine politische Nicht-Entscheidung nach der anderen sowie eine neue Regierung, die aus offen korrupten Politikern besteht.
Dieser Satz brannte sich in meinem Gehirn ein: Wie man mit den Schwächsten der Gesellschaft umgeht, daran kann man ein Land messen.
Aus einer Diktatur kommend, wo man Behinderte und Waisen einfach weggesperrt hat, etwas was mich persönlich immer noch sehr belastet, da ich es ganz kurz zur Gesicht bekommen habe, kann ich dem nur zustimmen. Also, der Bodensatz der Gesellschaft sind nicht korrupte Politiker und steuerhinterziehende Menschen, nein, es sind Obdachlose, Hartz4 Empfänger:innen und obacht, Kinder. Das ist Deutschlands absolute Schattenseite, ein so wohlhabendes und meines Erachtens demokratisch starkes Land, strebt in eine sehr merkwürdige Richtung. Die Demokratie ist durch das Aufleben des Nationalsozialismus und Faschismus durchaus gefährdet, doch auch das momentan bestehende System, was ausgerechnet unter der Ägide der Sozialdemokraten den Bürger:innen Hartz4 eingebracht hat, zeigt deutlich in welche Richtung ein auf Wachstum gepolter Kapitalismus geht. Die Basis (sic!nicht Kehrseite!) des Wohlstands ist Kinderarmut und ein Existenzminimum, der diesen Begriff nicht wert ist.
Nun habe ich in einem Satz Demokratie und Kapitalismus erwähnt und ja, der Zusammenhang ist ein bisschen wie die Psychosomatik: Jedes Krankheitsbild ist eine Dichotomie beider Dinge, des körperlichen und des psychischen Zustandes. Weil letzteres in der Schulmedizin nicht vorgesehen ist bzw. getrennt behandelt wird, doktort man ewig herum an Krankheitsbildern. Und so geschieht es auch mit unserem Alltag, oder System meinetwegen: In dem Dualismus Demokratie und Kapitalismus, der sich eigentlich widerspricht, funktionieren viele Dinge NICHT und der Widerspruch zeigt sich mit dem Ergebnis, dass wir jetzt in einem kollektiven Burnout gehen.
Finanzkrise und Inflation, Klimakrise, Krieg und zeitlich die Roaring 20es, den ein Prozent der Weltbevölkerung fliegt demnächst in riesigen phallusförmigen Raketen durchs Weltraum, mit dem CO2 Abdruck eines ganzen Kontinentes. YAY! Man muss es lieben!
Natürlich gibt es viele Hebel, die man setzn könnte, die wirtschaftlich sinnvoll sind und auch umsetzbar im riesigen Technokraten-Apparat Deustchlands, aber: Entscheidungen sind nicht vorgesehen. Und jetzt, wo drei verschiedene Parteien, also drei genuin auseinaderstrebende Interessen sich einigen sollen, werden wir die DAS HABEN WIR SCHON IMMER SO GEMACHT – Ära fortführen und uns kollektiv gegen die Wand fahren. Natürlich nur der Teil der Gesellschaft, der eh schon am Rand hängt. Die Hebel sind alle bekannt. Schon lange.
Ich hänge natürlich eine Frage an, die mich persönlich sehr umtreibt – was tun wir? Was tun wir im Alltag, was streben wir an für Werte, wie verhalten wir uns? In unserem Mikrokosmos. Weil, Post Scriptum as usual: Das Private ist politisch.
Und kleiner Link zum Thema Armut:
https://perspective-daily.de/article/1908-armut-ist-in-deutschland-laengst-kein-randphaenomen-mehr/XcBWdYzk