Die Arroganz der Akademikerinnen

Ich bin arrogant (schon immer). Mittlerweile bin ich auch Akademikerin (aber ich kenne auch andere Zeiten…). Aber ich sehe nicht auf andere herab. Und ich nehme folgenden Spiegel-Artikel zum Anlass, um zu schimpfen: Geht’s noch?
http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/karriereknick-nach-babypause-frauen-in-der-teilzeitfalle-a-911197.html

Kurz zusammengefasst: Frau, geh arbeiten, statt das Stricken zu perfektionieren. Denk an Deine Rente. Denk an das, was du kannst, und Nähen als Hobby befähigt Dich nicht, einen Shop zu eröffnen. “Hör auf zu jammern”, heisst der Titel – und das ausgerechnet von zwei Frauen, die in dem Artikel ungeschönt ihre Unternehmensberatung für Frauen, die sich beruflich verändern wollen, bewerben. Oh Zufall!

Denn: Frauen arbeiten ja nur das, was sie so dachten, weil Papa, oder weil bequem, oder oder oder. Karriere? Nur bis zum Knick Kind und dann wird eben auf die Vorhänge, vegane Salate und sonstiges geachtet.

JA. Bis zu einem gewissen Punkt, ja.

Aber Ihr scheißstudierten Schlampen aus gutbürgerlichen Häusern (*Autorinnen), habt Ihr mal an die gedacht, die es sich nicht leisten können, glutenfreie Salate zuzubereiten? Das Luxusproblem von “worin ich beruflich Erfüllung finde” trifft auf einen marginalen Teil der Frauen, die namentlich, die es sich leisten können sich genau das auszusuchen, aber eben auch Zuhause zu bleiben, weil schlichtweg die Kohle von Papa (der eigene…) und Papa (der Partner…) reicht.

Statt also über diese zweifelsohne sehr privilegierte Schicht zu lästern, sie solle doch nicht jammern, solltet Ihr mal aus dem Glashaus, in welchem Ihr sitzt, rauskommen und Euch mal im Ghetto des Alltags umsehen. Da geht es längst nicht darum, ob ich mit 65 Tausend Brutto oder mit 95 Tausend nach Hause komme, wenn ich mich verwirklicht habe. Da geht es um schnöde Stromrechnungen und Angebote der Supermärkte rausfischen, Alupapier waschen um es wiederzuverwenden oder ob dieses Jahr ein Urlaub drin ist, damit die Kinder ein bisschen Seeluft schnuppern können.

Den meisten Frauen geht es um die schnöde Existenz. Und ja, das sind auch die, die sich vielleicht eine Weile zurückziehen, weil ihre Scheißarbeit eben scheiße ist, weil niemand Lust hat, sich von pöbelnden porschefahrenden Chefarzt-Gatinnen an der Kasse anmachen zu lassen; und weil sie auch womöglich so schlecht verdienen, dass es ein Hohn ist, das Geld gleich wieder an die Kinderbetreuungstätte weiterzureichen.

Ich kenne Frauen, die so viel verdienen (aber zurecht!!), dass es mir den Neid und die Schamesröte gleichzeitig ins Gesicht treibt, und ich finde es ist immer noch zu wenig – doch wenn diese sich arroganterweise beschweren, dass frau als Geringverdienerin immer übers Geld redet und klagt, möchte ich zuschlagen!

Ja, die Arroganz der Akademikerinnen ist ganz schnell weg, wenn sie damit konfrontiert werden, dass sie ihren Job doch nicht machen können, weil die Kinderbetreuung fehlt oder sehr viel kostet und der Organisationsaufwand obendrauf einen wahnsinnig macht. Und ja, dann besteht ihre Arroganz auf einmal darin, dass sie sich wundern warum frau denn nicht?! zuhause bleibe. Es lohnt sich ja nicht zu arbeiten! Und über die Rente machen diese Damen sich keine Sorge, dank Erbe, private (teure) Vorsorge oder oder oder…

Nein, das sind nicht die richtigen Worte, liebe Autorinnen und Unternehmsberaterinnen, die Euch Kundinnen holen wollt. Ihr sollt die Frauen zum biographischen Bruch ermuntern, und nicht beschimpfen, und nicht ihnen die Schuld zuschieben, wenn doch gewisse Umstände seit jeher (die kulturellen aber schlichtweg auch die faktischen Hegebeneheiten) so sind, wie sie in Deutschland nunmal sind. Die Mütter zum Ausstieg durch Babypause zu ermuntern und dann “beides” haben zu wolen, aber maßgeschneidert – sicher, auf Euch hat die Chefetage gewartet! Tut mir leid, wer sich zehn Jahre au dem Berufsleben zurückzieht und Pekip und Yoga macht… nun ja. MUSS neu anfangen. Da ist einiges obsolet.

…ach, arrogant kann ich selber, und so viel besser als ihr – geht es aber bitte auch ohne?

…ach, und wo ist mal wieder die vielgepriesene Frauensolidarität? Die ist genau so ein Hirngespinst wie die Gleichstellung… (und hier viele große, gestreckte Mittelfinger bildlich einsetzen. Danke).

P.S. Um Missverständnisse vorzubeugen: Ich bin der gleichen Meinung wie die Autorinnen, daß Frauen bitte arbeiten sollen, um ihre finanzielle Unabhängigkeit zu sichern. Erst recht nach einer/zwei/drei… kurzen! Babypause. Denn mit Mitte 30 oder 40 und drei Kindern ist das Leben lange nicht zuende, und wir leben länger, wir sind besser ausgebildet – wir kommen schon noch zum Zug. Und ja, solange wir um die kostenlose Ganztagesbetreuungsmöglichkeit kämpfen, ist die (finanzielle) Investition für andere Bezugspersonen wie ErzieherInnen und Babysitter eine gute, wenn auch erst mittelfristige “Anlage”.

P.P.S. Was machen Frauen denn im Allgemeinen falsch?
Sie sitzen bis zwei uhr nachts über Präsentationen, können immer und überall – und auf einmal geht es nicht mehr, weil sie doch zumindest mit 50%er Wahrscheinlichkeit auch mal ein krankes Kind abholen müssen. Und schwupps, denken sie: Mit Teilzeit ist es besser. Falsch. Mit Teilzeit hat frau nichts mehr zu sagen, wird meistens fachlich degradiert – dabei ist es sehr einfach: Das Zauberwort heisst NEIN. Nein, ich kann nicht um sieben abends zum Termin, machen es wir doch um acht Uhr morgens. (Ohne Begründung.) NEIN, die Präsentation passt Ihnen nicht? Es ist acht Uhr abends, also sagt frau tut mir leid, (wenn es nicht um Leben oder Tod geht, und darum geht es sehr, sehr selten!), ich mache es natürlich morgen gleich als erstes. (Ohne Begründung).
Ich zitiere den weisen und gutgemeinten Ratschlag einer Führungskraft explizit an mich als Frau: Weniger tun, mehr drüber reden.

EDIT: Sibylle kotzt auch – lest Euch unbedingt die Kommentare durch!!
http://sibylleblogt.wordpress.com/2013/07/25/frauen-hort-auf-zu-jammern-artikel-bei-spon-vom-17-07-2013/

6 Gedanken zu „Die Arroganz der Akademikerinnen

  1. Auch ich habe den Artikel gelesen und war entsetzt. Als Akademikerin. Als Doktorandin. Vor allem aber als Frau. 1.: Die “Spießigkeit”, die da kritisiert wird, ist ein völlig legitimer Wunsch nach einem gemütlichen Zuhause, den man wohl verspürt, wenn man Mutter ist. 2.: Was ist daran falsch, Zuhause bleiben zu wollen? Oder zu müssen? Oder zu können? 3.:Diese “Selbstverwirklichung” ist, wie du ganz richtig schreibst, realitätsfern (da nicht jede (oder fast keine?) superreich ist und auch nicht jede gaaaanz viele Möglichkeiten hat, beruflich aufzusteigen/sich “neu zu erfinen” etc.etc.), 4. sie ist auch etwas egoistisch. Klar ist das Leben nicht vorbei wenn man Kinder hat, aber trägt man nicht auch Verantwortung? Es ist sehr gut möglich, dass Kinder von solchen “karrieregeilen” Business-Women sich stark vernachlässigt fühlen könnten. Manche Frauen verwirklichen sich auch in der Mutterrolle. 5.:Wenn der Mann keine Elternzeit machen kann oder will und wenn die Eltern nicht mehr da sind oder nicht mehr helfen können, und man ohnehin einen schlechten/schlechtbezahlten o.ä. Job hatte, dann muss man eine Weile Zuhause bleiben.6.: Und ich könnte mir vorstellen, dass die Liebe zum Kind und der Wunsch darauf aufzupassen größer sein können als der Wunsch zu arbeiten, und dass man lieber erstmal Teilzeit arbeitet und so mehr Zeit fürs Kind hat.
    Und ja, Frankreich und USA leben es vor – man kann ohne Babypause dank toller Kinderbetreuung gut leben und es funktioniert. Man kann auch Elternteilzeit machen und wieder einsteigen, man kann auch, wenn’s sich nicht lohnt, jahrelang zu Hause bleiben, man kann auch ackeern und ne Nanny beschäftigen, anything goes. Was mich stört, ist generell diese Erwartungshatlung “du musst wieder arbeiten und dich verwirklichen”, das ist nicht feministisch, eher das Gegenteil.

    1. Jana: Babypause ist super in Ordnung, aber ich rede davon zehn Jahre nichts zu tun, nicht ein oder zwei Jahre. Warum sind es immer die Frauen, die sagen können und dürfen sie haben kein Bock zu arbeiten= Richtig, weil sie den doofen Typen haben, der das muss, der hat ja keine Ausrede a la “das Kind braucht mich”. Das kann es ja auch nicht sein. Da kann man nicht Feminismus schreien, wenn man nicht bereit ist sein Scherflein dazu zu tragen. Es wird einfach zu oft als Ausrede benutzt, dieses Mutti-Sein. Fakt ist dass jede/ das entscheiden können muss, das wäre optimal, in den gegebenen Umständen – also arbeiten oder nicht, weil es nunmal die gesellschaft ist in der wir leben, die eine gewisse Betätigung voraussetzt. Und ja, das kann auch Kindererziehung sein. Wer aber meint ein Kind zu Tode alleine Zuhause erziehen zu müssen, irrt. Es braucht anderen Kontakt, und zwar nicht nur im Mama-Kind Töpfer-Kurs. Die Kinder müssen andere Bezugspersonen haben dürfen, und man muss als Elternteil nunmal dahingehend zurückstecken. Klar ist es schöner mit dem Kind zu kuscheln, aber es ist eine Persönlichkeit und kein Kuscheltier. Auch ich muss das lernen, es ist nicht einfach – aber das Kind ist nicht für mich da, sondern für sich selbst. Und mein leben muss ich immer noch auf die Reihe bekommen-das vergessen die Frauen und dann falen sie in tiefste Löcher sobald sie vom Kind abgeschrieben werden…

  2. Einiges, von dem, das ich über diesen Artikel denke, hast Du eh schon gesagt, in Einigem bin ich aber auch anderer Meinung; sowohl als der Artikel, als auch als Du. V.a. darin, daß ich schon finde, daß Frauen (und / oder Männer übrigens genauso) zu Hause bleiben können, wenn sie es sich denn leisten können. Das birgt viele, persönliche Risiken, mehr meiner eigenen Meinung und meiner Erfahrung nach – als Kind einer Mutter, die nach meiner Geburt auch niemals wieder gearbeitet hat – als es Schwierigkeiten und Risiken birgt, wieder in den Beruf einzusteigen, aber ok – es ist eine individuelle Frage. Ich kenne Frauen, die es ebenso gemacht haben, wie meine Mutter, und die es dennoch geschafft haben, eine Lebenserfüllung jenseits bzw. nach der Kindererziehung aufzubauen; Frauen, für die und für deren Kinder es funktioniert, aus dem Beruf für immer ausgestiegen zu sein.

    Mein Ding wäre das zwar definitiv nicht, und ja, ich gehöre der Schicht an, deren Gefahren die Autorinnen des Artikels beschwören. Aber ich HASSE es, wenn jemand glaubt, er wüßte besser, was für jemandes Leben richtig ist, als derjenige selber!!! Ich lasse mir als Frau und Mensch von der Gesellschaft ebenso wenig mein Leben diktieren, wie von meiner Schwiegermutter, die mir “weil ich weiß, daß das das beste für Dich ist” unbedingt geraten hatte, mit dem Sex bis nach der Heirat zu warten… Ich lebe MEIN Leben, im Rahmen meiner Wünsche, Möglichkeiten und Zwänge, aber ungeachtet welcher gesellschaftlichen Konventionen auch immer! Diese von ganz weit oben herab gekotzten, sehr verallgemeinernden (und dabei doch nur einen geringen Teil der Gesellschaft überhaupt betreffenden) Weisheiten sind echt fürn Arsch, und klingen mehr angepißt, wohlstands-gelangweilt und untervögelt, als reflektiert gesellschaftskritisch.

    Abgesehen von all dem – Du hast es ebenfalls schon angeschnitten – so wenige Männer / Menschen es gibt, die mit 50 selbständige Großunternehmer oder Vorstandsmitglieder sind bzw. dies realistisch anstreben können, so wenige Frauen / Menschen gibt es, bei deren Beruf es einen RIESEN Unterschied inpuncto Mitsprachrecht und ernst genommen Werden macht, ob sie teilzeit oder vollzeit arbeiten. Daß es vielfach einen gewissen Unterschied machen kann, ist klar; oftmals ist das aber, denke ich, und wurde mir schon mehrfach erzählt nichts, dem man nach einer gewissen Zeit nicht entgegengewirkt haben kann. Bzw. spielt es oftmals aufgrund der Art der Anstellung auch einfach keine primäre Rolle. Manchmal, ja, tut es das auch doch, aber die Betroffenen sind mit Sicherheit nicht so blöd das nicht zu umreißen, und dann nicht entsprechende Konsequenzen zu ziehen – oder sich ggf. auch bewußt und reflektiert mit dem Status quo zufriedenzugeben.

    Zwei abschließende Punkte. Ich liebe es zu dekorieren, und zwar in der Tat jahreszeitlich wechselnd. Ich lese auch gern die Landlust, und bin echt traurig, wenn ich es in einem Jahr mal zeitlich nicht auf die Reihe bring einen Halloweenkürbis zu schnitzen. Auch allein, ohne Kinder, einfach weil es mir riesen Spaß macht, und ich ich kann mit Sicherheit sagen, daß das meine persönliche, weibliche und intellektuelle Unabhängigkeit nicht im mindesten gefährdet. Und auch nicht das Brennen für meinen Beruf.

    Und zweitens: die Ehefrau meines Vaters hat drei Kinder (geboren in relativ großen, zeitlichen Abständen), und hat deretwegen 21 Jahre den Beruf ausgesetzt. Dann hat sie wieder angefangen, teilzeit. Teilzeit ist dabei allerdings ein Wort, das in meiner Bewertung und Einordnung dieser Leistung gar nicht vorkommt, denn nach 21 Jahren ausschließlich häuslicher Tätigkeit wieder in einen akademischen Beruf einzusteigen, mit allem, das da dazugehört, das finde ich so oder so aller Ehren wert.

    Schubladendenken ist eben einfach immer und unter allen Umständen scheiße! Völlig frei machen davon, kann sich wahrscheinlich niemand, aber oftmals sind gerade diejenigen, wie hier die Autorinnen, die sich mutmaßlich innerlich rühmen das doch zu tun, mit am schlimmsten darin – dahingehend aber mit völliger Blindheit geschlagen, was letztlich noch erbärmlicher ist, als wenigstens zu seinem Schubldendenken zu stehen.
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  3. EIn großes, dickes JA, hinter diese Antwort von Dir, aber eines will ich in dem Zusammenhang auch noch loswerden: ich möcht scheiße brüllen, wenn ich “das Kind braucht mich” hör; mir sind diejenigen Frauen immer noch zehn Mal lieber, die wenigstens sich selber und allen Anderen gegenüber ehrlich sind, und sagen, sie wollen nicht mehr arbeiten, und nicht sie könnten nicht mehr, zwecks Kind. Ich finde, diese Ehrlichkeit würde dazugehören, wenn man sich auf die viel zitierte, völlige Wahlfreiheit berufen will. Klar, es gibt Ausnahmen, in denen es tatsächlich so sein kann; wenn man beispielsweise drei, vier oder fünf Kinder hat, oder ein dauerhaft krankes, und vielleicht zusätzlich noch ältere Verwandte zu versorgen. Aber ich denke, wir reden hier vom Regelfall, also ein bis zwei Kinder, und v.a. dem Einstieg ins Elternsein – das ja üblicherweise mit nur einem Kind erfolgt.
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