Über mehrere Ecken bekam ich ein Buch von einem Mann. Promoviert. Mit erstaunlichem CV, YouTube Einträgen, und geilem Job. Shiny happy person!
Eines Abends beschloß ich auf meine Social Media Aktivitäten (=Sucht) zu verzichten und nahm sein Buch in die Hand. Nice, habe ich noch gedacht, sollte mir noch ein Tee dazu gönnen.
Ich schlug die am interessantesten betitelte Kurzgeschichte auf und fing an zu lesen. Nach acht Sätzen war ich belustigt, entsetzt, froh und erstaunt: Es war miserabel. Es war nicht mal medioker, es war einfach schlecht. Voller Pathos, ungelenken Sätzen und Mißbrauch an Adjektiven – immerhin ohne Rechtschreibfehler.
Kurzum: Es war schlechter als der schlechteste und uninspirierteste Blogbeitrag, den ich je schrieb.
ICH BIN BESSER ALS GUT. Was für eine Erkenntnis! Ja, ich kann scheinbar gut schreiben, ich persönlich finde es bestenfalls okay, zumindest in der oberen Hälfte qualitativ angesiedelt.
ICH BIN NICHT SELBSTVERLIEBT. Warum eigentlich nicht? Warum bin ich nicht einfach wie ein Man? Total von mir selbst überzeugt, Totholz-Produkte an den Mensch bringend, ohne die Angst vor Gesichtsverlust angesichts der Qualität.
ICH BIN ENTSETZT. Qualität zählt immer, aber wie leicht ist es, sich selbst zu frisieren?! So zu tun als ob? Und wird es hinterfragt?! Nein. Während Professorinnen permanent auf ihre Expertise pochen müssen, kann jeder MANN einfach so eine Einladung ins Fernsehen bekommen und sich zu absolut fachfremden Themen äußern, wie man es regelmäßig im öffentlichem Rundfunk sieht (weiß ich nur von Twitter, ich habe seit Jahren kein Fernsehen mehr gesehen). Es werden regelmäßig Männer auf Posten gehievt, vorgesetzt eben, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben. Fachlich muss man es auch nicht, aber man sollte zumindest im Marketing im Jahre 2020 keine ausgeschnittenen FAZ Artikel verteilen.
Sog. Alpha-Boomer und Mittelmaßmanager, bei denen Hopfen und Malz verloren ist, werden höchstens in irgendwelchen Studios von Dominas gezüchtigt und zahlen dafür, was immerhin amüsiert.
Alle anderen Männer haben verstanden, dass man mit toxischer Männlichkeit bestenfalls in die Kiste kommt.
Ich finde Mittelmaß auch gar nicht schlimm, ganz im Gegenteil, es entspannt ungemein, aber auch nur, wenn man es nicht als Maß der Dinge verkauft. Oder ist das tatsächlich das Maß der Dinge und wir Frauen tun einfach zu viel? Es erinnert an den Spruch eines meiner natürlich männlichen Vorgesetzten: Weniger tun, mehr drüber reden, and it shows.
Mädels, mehr Mittelmaß, wie so ein Mann, und MEHR DRÜBER REDEN.
Oh wow, genau das kenne ich. Failing upwards seitens der Typen, und ich, die sich bescheuert und wie ne Schwindlerin fühlt, wenn ich im Gespräch mit jemandem sage: das traue ich mir zu, wird schon klappen.
Ich entspanne mich allerdings nicht im Angesicht des Mittelmäßigen, außer es geht um ausgewogene menschliche Qualitäten, die finde ich gut. Sondern ich ärgere mich über öffentliches männliches Mittelmaß, während ich Frauen sehe, die besser sind, aber halt auch selbstkritisch, und nicht mit jedem Blödsinn zitiert werden wollen. Deren nuancierte Ansichten sind halt für den Pro Sieben Durchschnittsgucker bzw. Buchleser nicht reißerisch genug. Und zur Selbstkritik kommt natürlich auch die Taktik, sich auszureden, was man machen will, weil es ja eh nicht perfekt wird, etc.
Deswegen experimentiere ich grade mit dem Mantra: start before you’re ready. Es macht mir Spaß und auch Angst, aber es zeigt mir auch: ich frage durch mein Zögern eigentlich immer die Gesellschaft/das Patriarchat, ob ich das alles darf. Was mir an mir nicht gefällt. Natürlich hab ich den Anspruch, was Gutes zu machen, aber hey, falls es doch Mittelmaß werden sollte -immerhin hab ich was gemacht. Weibliches Mittelmaß. Das wär doch mal was!
START BEFORE YOU’RE READY. Das ist eigentlich die Quintessenz dieses Jahres. Und Mittelmäßigkeit ist FEIN, ist RICHTIG GUT.
Danke für diesen tollen Blog. War sehr interessant zu lesen.
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