Gerade habe ich Juli Zehs Buch “Unterleuten” verschlungen, in weniger als 14 Stunden inklusive Schlaf. Ich habe Gofugyorself gelesen, bei Instagram reingeschaut, die Bilder eines Jet-Set-Urlaubs angeschaut, Schmuck von Celebrities angeschmachtet, Handtaschen angeschaut, einen bunten Pullover gesucht, grünen Tee getrunken und nachgedacht. In Wahrheit habe ich nachgedacht.
Vor zehn Jahren etwa schrieb ich im Profil eines Dating-Portals (ja, nicht nur eines, etlicher Portale als Social Media Feldarbeit im Rahmen eines Seminars mit teilweise befremdlichen Ergebnissen) wo ich mich in Zukunft sähe: Mit Baby auf den Knien meine Abschlußarbeit schreibend.
Das war hochgradig niedlich und naiv, denn Babys sitzen nicht still auf den Knien während man tippt; und die Zeitspanne in der zum einen das Baby und zum anderen Abschluß plus Promotion vorgesehen waren, verlängerte sich, aufgrund Dingen, die im Leben passierte, um das Doppelte. Während ich immer meinen Masterplan folgte, kam und gingen in meinen jeweiligen Tätigkeitsfeldern Menschen. Manche fuhren jammend auf einem Motorrad vorbei mit wehenden Hippie-Klamotten, manche lächelten leise und verschwanden wieder, gesichtslos und namenlos werdend, wiederum manche eine brennende Fackel tragend. Nicht wenige sind irgendwo gut sichtbar angekommen, wobei das sichtbar manchmal mehr wiegt als das gut; viele sind genauso wieder in die Mittelmäßigkeit des Lebens abgetaucht, wie ich.
Mittelmäßigkeit ist etwas, was ich sehr schlimm finde, ja eigentlich gar nicht toleriere. Trotzdem folgt ständig meinerseits und somit auch öffentlich/hier ein Ruf danach. Nicht Begrenzung und definitiv nicht das Ende des Ehrgeizes, aber sicherlich eine innere Wendung zu den unumstößlichem Tatsachen des Lebens, die meine Eltern folgendermaßen formulierten: Tempus fugit et tacit. Solche Plattitüden sind trostlos und schrecklich, ich bin mir nicht mal sicher ob grammatikalisch korrekt, und trotzdem wiederhole ich solche Mantras in Gesprächen, wo ich meiner vorherigen Aussage eine besondere Schwere und Tiefe verleihen möchte.
Natürlich sagt keiner zu mir solche weisen Worte, die sowohl mild sind als auch Interpretationsraum lassen. Klugscheißer habe ich um mich herum herzlich wenige, das ist erfreulich; ich kann mich allerdings in diesem Feld ohne Zweifel wiederfinden. Stattdessen wird mir direkt gesagt, was Sache ist, man mutet mir die Stärke zu, Wahrheiten zu ertragen. Ich sage mir neuerdings auch Wahrheiten, ertrage es aber bedingt. Was passiert, wenn ich meinem jetzigen Ich selbst offenbarte, dass sich der Masterplan womöglich ins Unendliche zieht oder eher sich ins Unendliche verpisst, und dass ich trotzdem entspannt bleiben kann? Ich müsste mir selber Mittelmäßigkeit verzeihen und neu definieren, oder sie mir zumindest schön reden. Ist das überhaupt notwendig, sich Mittelmäßigkeit schön zu reden – statistisch gesehen wollen die Menschen nicht viel oder alles, sondern “genug” zum Leben. Ein Leben in Mittelmäßigkeit, in stabilen Netzen, in sicheren Strukturen und mit potentiellen Ausbrüchen daraus. Man muss nicht, aber man kann. Voilá, ich habe den Traumzustand erreicht und befinde mich ein paar tausende Buchstaben entfernt davon, mich aus ebendieser zu katapultieren. Fein fein, sagt meine Freundin und das impliziert immer zwei Dinge: Wayne interessiert’s ODER was machst du daraus?
Die Welt retten ist gerade aus meinem Terminkalender gestrichen worden wegen mangelnder Kinderbetreuung am Nachmittag, macht nichts, stattdessen geht es zum Kinderturnen. Ich mag es mich dort den Blicken auszusetzen, eine halbwegs schlanke, geschminkte, adrett gekleidete und offensichtlich ältere Mutter, die mit ihrem Sohn um die Wette rennt. Vielleicht weil das der Filter ist, denn ich am liebsten habe. Auch hier beherrscht Mittelmäßigkeit gekonnt den Output – nicht zu perfekt, nicht zu offensichtlich, nicht zu bemüht, eben gekonnt. Dabei störe ich mich ständig an die Mittelmäßigkeit anderer Leute, statt ihnen einzugestehen, dass sie einfach nur ihre eigene Mittelmäßigkeit gefunden haben. Fordern sie denn etwas anderes? Nein. Ich schon, und selbst darin bin ich weniger als mittelmäßig, Aktionismus mit Tätigkeit verwechselnd und dabei sich ein selbst ertwittertes ‘ego te absolvo’ ausstellend. Passt schon.
Also, was ist falsch oder schlecht an Mittelmäßigkeit? Eigentlich gar nichts, selbst die Geschwindigkeit drosseln und mittelmäßig schnell zu sein, ist ein Konstrukt; das ließe sich formulieren in “ich bin schnell im Vergleich zu X aber unfassbar langsam im Vergleich zu Y”. Wieviel Courage braucht es, sich bewußt zu etwas zu bekennen, was man abgrundtief hasst – oder sich vorübergehend hierin zu bewegen, um den Weg weiter zu gehen. Wir nähern uns hier womöglich dem Knackpunkt. Mittelmäßigkeit kann auch ein Stück des Weges sein, warum nicht, ich glaube und fürchte(ja, doch!) viele erkennen genau das, es ist genau diese Mittelmäßigkeit die glücklich macht; der Grund warum alle Mittelschicht sein wollen, die oben und die unten. Sie waren klüger und haben es vor mir erkannt und hegen nun keine Magengeschwüre, führen keine überhitzen Diskussionen die Deutungshoheit mancher Dinge im Alltag. Aller Dinge.
Viele halten sich bewußt darin auf, um die Augen zu halten zu können vor dem, was sein könnte oder was sie sind. Sein könnten. Könnte, wollte; hätte, hätte Fahrradkette. Feine Reime. Das Leben ist kein metaphysisches Konzept, es ist die Einsicht, dass die jüngere Kollegin die selben Fehler macht wie man selbst früher. Daß man unheimlich viel Wissen und Verständnis für Komplexität aufgebaut hat und sich nicht damit meldet, bestenfalls ein innerliches Schulterzucken verübt, wohl wissend, dass dieses Wissen im Alltag für den Arsch ist. Weil so viele Dinge sich genauso weiter bewegen wie vorher, weil einem der gute Spruch zum sexistischen erst am Abend einfällt, weil man sich nicht involviert, um Gewissensbisse zu vermeiden, weil man lieber auf Mittelmäßigkeit reduziert, statt am Geburtstagsstich Kuchen, Gäste und die Ungerechtigkeit dieser Welt anzuprangern (lest es als Metapher).
Vielleicht ist es so, wenn diese Dinge aufeinander prallen, schwarz und weiß, dass das entstehende Grau und dessen Schattierungen eine feine Sache sein können, wie Wellen die einen weitertragen, statt Auf und Abs zu simulieren. Mittelmäßigkeit als Schmiere des Systems, mit dem man weiterkommt, wodurch man weitergetragen wird. Dabei planend, diese zu verlassen und ohne sich einsichtig zu zeigen, dass man sie nicht verlassen kann, wenn man sich auf diese Wellen weiterhin gemütlich bewegt. Es braucht ein Auf oder ein Ab um ein differenzierte Stellung einzunehmen und zu sagen ‘man geht weiter’. Man kann ja nicht auf einem (Ab, Auf) Bein stehen bleiben, nicht ewig. Man hopst also weiter vor sich hin oder läßt sich von den Wellen tragen. Übersetzt bedeutet letzteres ein Mittelreihenhäuschen, ein Job und Familie, und es großartig. Kinder sind dann doch das einzig Sinnvolle, eine komische Erkenntnis, die einen aus der Adoleszenz-Blase katapultiert. Erkenntnis, die auch außerhalb anderer Blasen stattfindet, außerhalb der perfekten Eltern-mit-Gerechter-Aufteilung-Blase. Ich sehe es ständig um mich herum, die Waffen werden gestreckt und die Wellen angenommen und man arrangiert sich. Und man bleibt dabei, man ist im flow, und das klingt viel besser als “man hat sich angepasst” und nein, es ist überhaupt nicht verwerflich, genau das zu genießen. Trotz allem wissen wir alle, dass hinter der perfekten Kulisse viel Unordnung, Chaos, Spaß und endlose Mini-Krisen bereitstehen. Wer kann da schon noch von Mittelmäßigkeit sprechen, auf der anderen Seite? Wenn ich den Horizont von weiteren vierzig bis fünfzig Jahren Lebenszeit erblicke, ist das ein wunderbarer Zwischenzustand, den ich nicht beibehalten muss. Das Dilemma des Frauseins zwischen Attraktivität und Fruchtbarkeit spinnt sich gerade mal um die zwanzig Jahre, und doch dreht sich alles um diese Zeit, die rückwirkend betrachtet bei vielen doch häufig nicht so wahnsinnig glorios war. Irgendwie haben wir vergessen uns ein Jahreskalender zuzulegen, der uns erinnert was nach dieser Zeit der Attraktivität und Fruchtbarkeit noch kommt, oder zumindest wieviel Zeit danach noch kommt. Jenseits von fünfzig wird man lächerlich für die eigenen Kinder, schreibt Juli Zeh, und das stimmt; was passiert mit uns späten Eltern, die dem ganzen noch fünf bis zehn Jahre hinzufügen müssen? Die Arroganz der Jugend ist unanfechtbar und permanent und großartig und ich wünsche, dass sie niemals aufhört. Ich sehe aber besorgt, dass sie im Verschwinden begriffen ist, die Resigniertheit greift um sich bei vielen und viel zu jungen Menschen. Man sollte mit Mitte zwanzig Drogen konsumieren und nicht unbezahlte Praktika machen und dabei desillusioniert sein. Mittelmäßigkeit als Status Quo ist nicht wirklich akzeptabel, nur als Übergang, am Ende dann doch. Mittelmäßigkeit ist keine Anklage und ich führe kein Plädoyer dagegen an, es bleibt wohl ein Punkt im Lebenslauf über den man nicht stolpern wird, bei den viele Seiten. Dafür gibt es auch einen richtigen Moment, und der ist frei wählbar und beliebig lang.
Pro Mittelmäßigkeit also, pro graue Zwischentöne, pro goldene Mitte, aber bitte nur vorübergehend.
Ahem…. Kinder sind das einzig Sinnvolle? Ich bin Lehrerin und…nein, bei aller Liebe zu den Süßen, das sehe ich anders.
Ich würde sagen, Selbsterfahrung ist das einzig Sinnvolle, mit wem und auf welchem Weg auch immer. Und ja, ich bin in einigen Bereichen Mittelmaß. So what. Leiste ich mir 😉
Liebe zu den süssen?! Moment, das ist nicht alles; und in 80% der Zeit möchte man sie würgen. Selbsterfahrung – du triffst einfach perfekt den Nagel auf den Kopf. Kinder sind genau das. Dank Kind kommen Traumata hoch, dank Kind sind alle Sinne auf 110% auch und gerade für Ungerechtigkeit.
Mittelmäßigkeit – ich muss mich dran gewöhnen, zugegeben, ist aber nicht schlecht. Es geht dar nicht alles haben zu können aber von allem oder einigem etwas, das schrieb bereits eine Leserin. Ist auch eine Ausformulierung für die goldene Mitte. Wenn diese gelingt, auf möglichst vielen Ebenen, hat man die Idealvorstellung des guten Lebens erreicht. Afaik auch ein Ideal des Buddhismus.