Shopping in Hamburg

Ich habe nichts gekauft.

Das Leben in einer wohlhabenden Kleinstadt gaukelt einem vor, einer der wichtigsten Dinge seien Designer-Handtaschen und die Winterjacke mit dem richtigen Label. So hängt man stundenlang, ja tagelang im Internet und seufzt bei yoox.com, mytheresa oder stylebop angesichts der schweren Entscheidung sich für Yves Saint Laurent oder Chloe zu entscheiden. Einen Haufen Zeitschriften neben sich, absorbiert man die Print-Anzeigen und Modestrecken in dem Glauben, es diene als Maßstab und Richtwert der Welt “da draußen” – also der Nicht-Provinz. Ob Elle- oder Brigitte-Zeitschrift, die Werbung von Louis Vuitton und Konsorten sind allgegenwärtig und flüstern leise aber vernehmlich von der großen, weiten Welt. Mit Chanel oder Hermès entfernt man sich gefühlt von seiner “Mittelmässigkeit” bzw. von der Provinz und hebt sich naserümpfend von Tommy Hilfiger- und Longchamp-Trägerinnen ab.

Die Uniform der Frauen wurde von Mr. Mybeautyblog treffend beschrieben:

Kostüm; flache Schuhe. Im Anfangsstadium ist es eine Longchamp-Tasche, dann die seiner Meinung nach schrecklich hässlichen und ubiquitären Louis Vuitton Monogramm Taschen. Wer es endlich zu “mehr” gebracht hat, sei es durch Heirat oder Beruf, trägt Haut-Couture Accessoires wie Yves Saint Laurent.

Irgendwo darin versuche ich mich einzufinden – und so schleifte ich meine besseren 2/3, bestehend aus Verlobtem und bessere Freundin/Trauzeugin in einem der High-Fashion Stores am Neuen Wall, die ein Sammelsurium an Labels bereithalten, von Chloe über Diane von Fürstenberg bis hin zu Oscar de la Renta. Wohlwissen dass mein Budget nur alle Jahr für eine Tasche reicht, falls überhaupt, schleiche ich mich gesenkten Hauptes zur Taschen-Auslage.
Und verpasse folgende Szene:

Ehepaar mittleren Alters, sie trägt eine Yves Saint Laurent Tasche. Er sitzt in der Männerspielecke, während sie gelangweilt und gierig die Kleiderbügel durchwühlt. Sie dreht sich um, und erblickt auf der besagten Männer-Abstell-Couch einige Russen, die sich lautstark quer über den halben Laden mit einer jungen, hübschen Russin unterhalten. Ihre Blicke gleiten automatisch dahin – das junge Mädel trägt ebenfalls Yves Saint Laurent. Ihr Gesicht gefriert und ihre Augen deuten ihrem Begleiter unmissverständlich dahin: Schau mal, sie hat die GLEICHE Tasche!!
Während die Gesichtszüge entgleisen, rollt der Ehemann mit den Augen und zückt die Schultern. “Gott, schon wieder müssen wir eine neue Tasche kaufen!” steht in Neonlettern auf seiner genervt gerunzelten Stirn.

Ich bleibe stehen und erhebe meinen Kopf. Hier sind sie, die kosmopoliten Damen, die aussehen wie aus der Elle entstiegen. Sie tragen alle die gleichen Taschen, die gleiche Kleider, die gleichen Labels, die ich in jeder Frauenzeitschrift seit Jahren sehe. Die gleichen glatten, blondierten Haare, die gebotoxten Gesichter und das gleiche, leicht faltige Untergewicht.

Ewig hungrig nach dem neuesten Trend, füllen sie ihr Leben mit dem Leeren des Kontostandes.

Moment mal – ich halte inne und bedenke meine Aussage, ich wolle nicht in Mittelmäßigkeit leben. MIST!
Ich bin gerade dabei, mich von dem Mittelmässigkeitslevel eines bestimmten Einkommens auf das Mittelmässigkeitslevel der übernächsten Gehaltsstufe empor zu arbeiten. Ich schaue meine beste Freundin an, die gerade ihre Habilitation vorantreibt. Sie kann sich das alles hier leisten, im Gegensatz zu mir – schaut indes angeekelt und kopfschüttelnd um sich herum. Mein zukünftiger Mann lacht offensichtlich die umstehenden Leute aus – und zwar ganz freundlich. Geübt durch das Leben an der Seite einer Beautybloggerin, erkennt er nun auch Labels und somit Preisschilder.

Wir flüchten, ich will noch zu Prada. Obwohl – was will ich da eigentlich? Ein großes, sichtbares Label auf meiner neuen Tasche? Mittelmässigkeit und Massenware im vierstelligen bereich? Dafür bin ich zu arm, dafür habe ich doch zu viel Stil.
Salvatore Ferragamo lasse ich auch links stehen und wir gehen Mittag essen in dem Restaurant, wo ich früher Mal gekellnert habe, fernab von den Pradas, Chloes und Louis Vuittons dieser Welt. Bodenständig pfeiffen wir uns die besten Bratkartoffel der Stadt und ein Rumpsteak rein.

Am Abend auf der Couch bestelle ich mir online ein paar günstige Schuhe im Ausverkauf und denke gestresst an die nächste Woche. Die Promotion, der neue Job, natürlich die üblichen Geldsorgen – aber hey: Meine Mittelmässigkeit verdiene ich mir lieber selbst.

Zu Mr. Mybeautyblog sage ich: Ich lebe ganz schön gut, oder? Er nickt und lächelt: Und die *** Handtasche passt auch viel besser zu Dir.

20 Gedanken zu „Shopping in Hamburg

  1. In Stuttgart ist das nicht anders – da herrscht auch ein ungeschriebener Dresscode für die betuchten Leute aus den Halbhöhenlagen, die fast alle IRGENDWIE gleich aussehen. Asis sehen auch immer IRGENDWIE gleich aus, junge dicke Mädchen in Skinny Jeans sehen auch immer IRGENDWIE gleich aus.

    Egal auf welchem finanziellen Niveau man lebt, es gibt immer ne “Grüppchenbildung”, hab ich den Eindruck. Ich müh mich nicht ab, NICHT wie andere auszusehen, sondern mach mein Ding. Ob das dann nach einer bestimmten Gruppe aussieht, ist mir herzlich egal.

    1. Es ist so schwer, oder? Ich denke auch man sollte nicht zu viel auf andere geben sondern sein Ding machen. Spaß haben tue ich an schönen Dingen trotzdem, aber ich versuche gerade zu lernen mich nicht an Labels aufzuhängen. Leider bin ich schönen, luxuriösen Dingen und Stoffen gnadenlos verfallen und ärgere mich manchmal dass ich mir eben nur einen guten Pulli vierteljährig kaufen kann. Aber dann freue ich mich umso mehr.

  2. Es wird immer Menschen geben, die mehr haben, mehr können, schöner sind…

    Selbst finanzierter Luxus ist doch viel schöner als geschenkter, Bedeutung und Wert sind einem bewusster, auch wenn das Gehalt seltener als man gerne würde zum Shoppen reicht.

    Kurz: hier in Düsseldorf ist es auch nicht gerade einfach man selbst zu sein. *lach*

    1. @Melanie – Düsseldorf auf der Kö – da war ich mittlerweile auch für ein paar Stunden. Krass. Wiederum für mich toll, alle diese Dinge aus dem Internet/Zeitschrift in Natura an jeder Frau zu sehen. Das relativiert einiges 😉 und gucken reicht mir häufig. Ich liebe alle diese schönen DInge, ich will sie anschauen, aber ich will sie nicht besitzen. Das einzige was ich völlig überteuertes haben möchte ist eine schlichte Cartier-Uhr. Die habe ich mal bei jemand gesehen, hatte keine Ahnung wer oder was Cartier ist – ich war sechzehn oder siebzehn. Irgendwann wird es ein Anlass geben oder es bleibt ein (weil unerfüllter und daher viel schönerer) Traum. Darauf sparen würde ich nicht; eines Tages werde ich in den Laden gehen und mir das kaufen. Oder eben nicht; es gibt wichtigere Dinge davor – zum Beispiel Florenz sehen oder das perfekte Steak selbst zubereiten können 😀

  3. Als ich noch in der Provinz gelebt habe, habe ich auch die Vogue inhaliert und von der großen Welt geträumt. Naja, die wurde dann alle 2 Wochen mal besucht 😉 und da ging es mir auch oft so wie dir gestern in HH. Auf einmal erschien mir das alles längst nicht mehr so glanzvoll und begehrenswert. Sondern sogar armselig. Ich mag mittlerweile fast gar keine Taschen etc mehr, die man (mit geübtem Blick) gleich erkennen kann. Das heißt übrigens nicht, dass ich keine teuren Taschen mehr mag 😉 Aber nicht mehr DIESE Art Taschen.
    PS: Ich liebe bodenständiges Essen!!!!

    1. @beautyjagd – meine Jahrzehnt-Anschaffung an Business-Tasche hat kein erkennbares Label. Ich liebe schöne Dinge, wer nicht, und Handtaschen und Schuhe sind mir wichtiger als Klamotten. Aber noch wichtiger ist mir richtig gutes Essen – und ich esse lieber teure Schokolade und kaufe mir bezahlbare Klamotten als umgekehrt.

  4. Braves Kind!

    Schätzchen, bald sind wir süßen Schnuckels wieder auf der Kö unterwegs und dann wird geshoppt bis zum Limit. Nächste Woche schon erster Tag? Ich denk an Dich und wir müssen mal wieder quatschen. LG, Nina

  5. Ich kann Dich nur zu gut verstehen.
    Eine wirklich schicke Uhr hätte ich auch gern.
    Wieso musste man mir auch diese in Rosegold zeigen?

    EGAL… Letztes Jahr hat ein kleines, süßes Cabrio das Rennen gegen die Uhr gewonnen.

    Und zur Kö… jetzt, wo Du es sagst… ich wollt doch noch mal zu Prange, Schuhe zum Kleid für den 60ten Geb. kaufen…

    1. @melanie: Hihi, Prange hatte ich auch in HH, super omig, dagegen ist der auf der Kö eine Goldgrube (Miu Miu). Schuhe habe ich mir dann tatsächlich bei LLoyd bestellt. In einer Stadt mit Pflastersteinen lohnt es sich nicht, mehr Geld für Schuhe auszugeben!

  6. Andreea, ich hab mich gerade über deinen Eintrag kaputtgelacht…dazu fällt mir ein:

    Eine Freundin von mir ist nach Berlin gezogen. Nach einer Woche Tussies und gehobene Politikergattinen kucken hat sie beschlossen, sich das inoffizielle Motto Berlins anzueignen: Arm aber sexy. Sie trägt bis heute kein Make-up und sieht klasse aus in ihren Vintage-70er-Klamotten.

    Hat mir gut gefallen. Stil kann man eben nicht kaufen. Auch nicht auf der Kö 😉

  7. @Melanie, ich kann nur zustimmen, was Du sagst, ich habe mir zu letzten Weihnachten zum ersten Mal eine Designertasche und ein Kosmetiktäschen geleistet, weil es mein Traum war. Ich habe mir den einen Traum erfüllt und gut ist, von meinem hart verdienten Geld. Ob ich noch weitere Statussymbole kaufen werde oder nicht kann ich nicht sagen, Träume diesbezüglich habe ich nicht. Wichtiger ist mir zu reisen und andere Länder sehen, darauf lege ich Wert, denn das was ich erlebe oder sehe kann mir keiner wegnehmen ist nur meins ;-), dafür gebe ich gerne Geld aus und kann kaum mein Sommerurlaub erwarten. Die Route wird kurzfristig festgelegt ganz spontan eben ;-). Reisen bilden eben, das ist halt so. Nur bei Kosmetik schlage ich manchmal zu, aber mein schlechtes Gewissen ist immer dabei.

  8. @M: bei Kosmetik mache ich keine Abstriche. Da gönn ich mir dann doch so einiges. Ich hab allerdings auch den Vorteil (oder Nachteil?), dass mir meine Kleidung für den Job gestellt wird. Das einzig individuelle ist da dann wohl das Make up und die gute Creme. 😉
    Immerhin… alles selbst bezahlt und damit ohne schlechtes Gewissen, sondern mit Freunde. 🙂

    @andreea: Prange auf der Kö hat wirklich gute Einkäufer. Gerade für besondere Anlässe, wie Geburtstage mit 200 Personen oder Hochzeiten, finde ich da auf Anhieb passende Schuhe.
    Zum Glück! Momentan ist Düsseldorf durch die zahllosen Baustellen ja nun nicht unbedingt einkaufstauglich. 😉

  9. Deswegen kaufe ich nur noch, was mir gefällt, egal, welche Marke draufsteht. Klar ist die Auswahl von meinem Budget abhängig, aber was soll’s. Außerdem gibt’s da noch den Sale in den großen Kaufhäusern, die diese Marken führen (von LV und Chanel mal abgesehen) – da kann man schon ein Schnäppchen machen. Auch nicht billig, aber immerhin billiger.

    1. @Mia – das stimmt, so gibt es mal das eine oder andere – das werde ich sicher auch machen: Sparen und im Sale zuschlagen. Das Neueste muss ich nicht haben und Trends interessieren mich nicht. Allerdings habe ich Angst aus den Sachen ruaszuwachsen 😉 und bin bei Kleidung eher zögerlich. Ich habe einige schöne Kleider in 34 die nicht mehr passen, gerade Abendgarderobe. Aber heute kauft man sich das eher “mal eben” nach weil die Auswahl sehr gross geworden ist. Man kann fast alles bestellen – und das ist auch gut so.

  10. …und scheinbar kann man Lila mit Pink nun auch kombinieren.
    Wahrscheinlich bin ich mal wieder die einzige, die es schrecklich findet, aber ich tu es trotzdem.

  11. hier in berlin gilt ja wie oben beschrieben ein ganz anderer dresscode. ich bin in meinem bekanntenkereis schon die obertussi, weil ich überhaupt in die parfümerie gehe. die meisten haben ne mascara, nen knallroten lippenstift (auf parties soll man nicht schön sondern schräg aussehen) und zusammengewürfelte klamotten. find ich super, aber ich renn halt lieber “spießig” rum. will heißen: gedeckte farben, schlichte stiefel, wollpulli/strickjacke. der hamburg-style (kragen hoch, handtäschchen, perlenkettchen) ist hier ja total verpönt – zurecht mMn. wer in b auf schick machen will, schmeißt sich meist in die “mitte-uniform”: schmal geschnittenes hemd, kulturwich*erbrille (sorry), designerschuhe, olle tasche. genauso schlimmes volk… im grunde ist mir das mittlerweile alles egal. ich finde diese ganze grüppchenbildung (s. jana) dämlich, mach nur noch mein eigenes ding. hab im laufe de rzeit einfach gemerkt was zu mir passt, worin ich mich wohl fühle. und freunde machen ihr ding, auch wenns ganz anders ausieht 🙂

  12. @Kaddi als ich nach Berlin zog, hab ich den Schreck meines Lebens gehabt, man war ich entsetzt über das Äußere mancher Akademiker. Wenn Du die Obertussi bist, wer bin ich dann ???? Superobertussi 😉

    1. Ich bin die SUPEROBERTUSSI hier! Ruhe im Kanal *lol* Ich habe in Berlin das letzte Mal den Eindruck gehabt die hätten alle im Second-Hand Laden geshoppt. Das wäre sehr umweltfreundlich – bloss stammt es von H+M – nicht so toll.

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